Langsam werden ja wieder Präsenztrainings möglich, wenn auch mit Einschränkungen unter Corona-Bedingungen. Wir Learning Professionals müssen uns derzeit die Frage stellen, was machen wir wieder in Präsenz, und was machen wir auch weiter Online.
Aus Pandemie-Sicht
Corona wird uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Das bedeutet, bei jedem Präsenz-Termin besteht grundsätzlich ein Ansteckungsrisiko. Wenn einer unserer Teilnehmer – oder der Trainer – positiv getestet wurde, muss die ganze Gruppe in Quarantäne. Das hat neben den möglichen gesundheitlichen Folgen in jedem Falle wirtschaftliche: In der Regel fallen diese Personen am Arbeitsplatz solange aus.
Sollte unser Training als Ursache für die Quarantäne ermittelt werden, ist das schädlich fürs Image, und die Bereitschaft für weitere Teilnahmen sinkt.
Aus wirtschaftlicher Sicht für Auftraggeber und Teilnehmer
Präsenztrainings sind immer mit Anfahrt oder Reisen und ggf mit Übernachtungen verbunden. Dieser Trainings-Nebenaufwand kostet Zeit und Geld, ohne das dafür schon der Gegenwert persönlicher Weiterentwicklung erreicht wird. Der Lockdown hat gelehrt, dass Lernen auch ohne Anreise und Übernachtung möglich ist.
Aus wirtschaftlicher Sicht für uns
Wegen der Abstandsregeln können oft nur die Hälfte der Teilnehmer je Training zugelassen werden. So sind unsere Trainings aber nicht kalkuliert. Jetzt die Preise deutlich zu erhöhen, scheint der falsche Zeitpunkt. Damit werden aktuell durchgeführte Präsenztrainings fast immer ein Zuschuß-Geschäft sein. Wir produzieren derzeit mit jedem Präsenztraining Verluste.
Aus Lern-Gestalter-Sicht
Aus wirtschaftlichen Gründen haben wir bisher möglichst viele in unsere Präsenz-Trainings eingeladen. Nur wenn die eingesetzten Ressourcen (Vorbereitung, Räume, Trainer, Maschinen) von vielen bezahlt wurden, rechnete sich das. Dabei war die Trefferquote auf die individuellen Lernbedarfe eher gering. Mit Präsenztrainings war das aber nur bezahlbar, wenn alle gleichzeitig dabei sind.
Online können wir gut aufteilen in asynchrone und synchrone Phasen. Und selbst in den synchronen Phasen braucht eigentlich nicht jeder dabei sein. Wir könnten also Lernenden Angebote zur Wahl stellen. Dann könnten sie sich das persönlich Notwendige – individuell ganz unterschiedlich holen.
Nur wenn es ums praktische Hands-on-Training geht, dann braucht man die Maschine – wenn man nicht eine aufwändige Simulationsumgebung zum Üben zur Verfügung stellen kann.
Hands-on-Trainings gehen nur in Präsenz – Theorie braucht keine Präsenz
Also könnten wir doch unsere Frage so beantworten: Unter Pandemie-Bedingungen so wenig wie möglich Präsenztrainings – beschränkt auf das unbedingt notwendige Maß (Hands on). Alles was theoretisch zu erlernen ist, kann weiter online stattfinden.
Und möglicherweise werden wir das auch nach der Pandemie so beibehalten. Online lassen sich synchrone und asynchrone Lernphasen ganz einfach abbilden. Asynchrones Lernen, geht mit dem individuellen Tempo und zu passenden Zeiten der Lernenden. Auch das gemeinsame Lernen, und das Netzwerken lässt sich online genau so gut realisieren, wie im Präsenztraining – vermutlich sogar besser. Wir müssen das Online-Selbstlernen nur üblich machen und ganz selbstverständlich in unsere Angebote einbauen. Der Ansatz ist ja nicht neu: “Blended Learning” sollte das neue Normal für alle Lern-Angebote werden, die eine Präsenzphase erfordern. Und für alle Themen, die nicht unbedingt physisches Erscheinen brauchen, sollten wir auch künftig auschließlich die Online-Variante anbieten. Meine Vermutung: Wir haben da in naher Zukunft auch keine andere Wahl: Die zu erwartende Kosteneinsparungswelle wird auch in der Nach-Corona-Zeit Reisebudgets drastisch einschränken.
Lernräume: Lernende brauchen eine eigene Lernumgebung
Wenn das Präsenzseminar bisher den Abstand zum Arbeitsalltag sicherstellte, braucht es hier eine andere Form des Rückzugs um die Konzentration aufs Lernen zu sichern. Das könnte die ruhige Besprechungsecke im Büro sein, in die man sich ohne zu fragen auch für die eigene Entwicklung zurückziehen darf. Das kann aber auch das Home-Office sein, dass man gerade fürs Lernen grundsätzlich nutzt. Lernzeit und Lernraum muss in beiden Fällen üblicherweise vorgesehen sein.
Wer sich jede Woche zwei Stunden Lernzeit im Kalender einträgt, macht schon mal einen guten ersten Schritt, der gleichzeitig das kontinuierliche Weiterlernen sichtbar macht. Lernen ist kein Einmal-Event! Und den physischen Raum dafür muss sich jeder selber suchen oder einrichten. Auch der ist notwendig.
Lernen kann dadurch effektiver werden
Wenn Lernende selbst wählen dürfen, was sie brauchen, wenn sie das im eigenen Tempo zu den von ihnen gewählten Zeiten durcharbeiten können – und trotzdem im Austausch mit der Fach-Community oder dem Trainer und den anderen Lernenden stehen, dann haben wir die vielgepriesene Individualisierung des Lernens erreicht. Und außerdem machen wir Lernen dadurch wieder zu einem Prozess: Lernen ist ja kein Eventereignis, wie wir es mit dem Präsenztraining eigentlich versprechen.
Unsere Angebote müssen dann nur anders sein:
- Online verfügbar
- auf jedem Mobilgerät
- Modular aufgebaut, mit möglichst wenig zwingenden Voraussetzungen
- mit leicht verständlichen Modul-Beschreibungen
- mit klaren Aufgaben für die Präsenzphasen (dort keine Theorie mehr)
- gerankt durch Bewertungen anderer Lernender
- mit Zugangsmöglichkeiten für Fach-Communities
- mit Austausch-Möglichkeiten unter Lernenden
- mit Beitrags-Möglichkeiten anderer Experten
- mit Feedback-Möglichkeiten zum Stand der eigenen Entwicklung
- …
Fazit
Die Pandemie hat uns gezeigt, das Vieles anders geht als vorher jemals gedacht. Auch das Lernen geht ganz anders als bisher in vielen Präsenz-Trainings praktiziert. Individueller und effektiver Lernen ist möglich, online oder als Blended Learning – wenn wir Learning Professionals unsere Angebote den Lernenden als Menü zur wahlweisen Nutzung bereitstellen.
Ja, das erfordert ein anderes Geschäftsmodell für L&D. Weniger Räume werden gebraucht, Ein Bericht über geleistete Teilnehmertage ist nicht mehr möglich. Trainerkapazität muss anders genutzt werden (Wenn man z.B. die 8 Stunden eines Trainertages auf 15 Tln verteilt, dann könnte jeder Tln 32 Minuten individuelle Betreuungszeit erhalten). Die Lerninhalte müssen modularisiert zugänglich gemacht werden. Und und und …
Nur – wenn wir das nicht machen, dann kommen ganz sicher andere auf die Idee, Lernen individueller zu gestalten.