Arbeit 4.0 und Selbstbedienung beim Lernen

(Als Diskussionsbeitrag zum CL Sprint am 8.6.2018 zum gleichen Thema, veröffentliche ich diesen hier zuerst erschienenen Blogpost auch hier.)

Arbeit 4.0 ist noch nicht so recht konkret vorstellbar, aber eine größere Eigenverantwortung der Mitarbeiter zeichnet sich bereits ab. Auch die Entwicklung von Mitarbeitern sollen diese mehr selbst in die Hand nehmen. Von mehr selbstgesteuertem Lernen gehen die Personalentwickler heute aus.

Wenn wir über selbstgesteuertes Lernen sprechen, ist da niemand mehr, der Lernende anleitet und mit Lernmaterial bedient. Selber auswählen und beschaffen ist nötig. Beim Einkaufen von Waren kommt uns das heute ganz selbstverständlich vor. Der „Selbstbedienungsladen“ ist ja auch schon 100 Jahre alt. Beim Beschaffen von Lern-Content fühlt sich das aber für Etliche noch sehr ungewohnt an. Inzwischen gibt es aber viele Beispiele, an denen man lernen kann, was es braucht, um Selbstbedienung zu unterstützen.

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Selbstgesteuertes Lernen vs. fremdgesteuertes Lernen

Beim angeleiteten (fremdgesteuerten) Lernen gehen Lehrende in der Vorbereitung von einer typischen Person aus der Zielgruppe aus. Deren Vorkenntnisse und deren Ziel werden definiert, um dann den vermeintlich besten Lernweg zu bestimmen. Diese Person ist aber noch nie in einem Seminar gesichtet worden! Es sind immer andere Personen dort, mit ganz unterschiedlichen Kenntnissen und Vorerfahrungen – und auch mit verschiedenen Zielen. Der angeleitete Lernpfad ist also nie optimal.

Die Alternative: Das Lernen in die eigenen Hände nehmen. Wer sein Ziel und seine eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten kennt, findet auch Wege, um anstehende Herausforderungen zu bewältigen. Ob das schwierig oder leicht ist, hängt davon ab, wie leicht der Zugang zu Informationen und Wissen ist. Und wenn sich das Umfeld immer schneller ändert, wird uns auch immer häufiger gar nichts anderes übrigbleiben, als uns selbst einzuarbeiten – ein Seminarangebot wird es dafür immer öfter noch gar nicht geben.

Selbstbedienung heute

Wir sind ja Selbstbedienung schon in so vielen Bereichen gewohnt – und genießen es dort auch. Hier nur ein paar wenige Beispiele:

  • Bahnfahrkarte: Wer würde sich noch die Verbindung lieber am Schalter raussuchen lassen und nicht selber online suchen?
  • Tanken: Wer würde gern auf den Tankwart warten, der erst noch zwei andere Autos betanken muss, statt selber zu tanken?
  • Lebensmitteleinkauf: Wer würde lieber genau angeben, welches Gemüse er in welcher Menge haben möchte, statt sich das im Vorbeigehen selber einzutüten?
  • Geld holen: Wer würde lieber einen Auszahlungsschein ausfüllen und das Geld beim Kassierer der Bank abholen, statt sich am Geldautomaten zu bedienen?
  • Auto waschen: Wer würde sein Auto lieber zum Waschen abgeben, und später wieder abholen, statt selber durch die Waschanlage zu fahren?

Ganz im Gegenteil sind wir sogar sauer, wenn es gar keine Selbstbedienungsmöglichkeiten gibt, und wir zu knappen Bürozeiten z.B. persönlich in die Behörde gehen müssen. Selbstbedienung wurde mal aus Kostengründen eingeführt. Inzwischen haben wir Kunden aber auch die Vorteile erlebt, und möchten sie nicht mehr missen. Das zeigt z.B. auch der Online-Anteil am Einzelhandelsumsatz, wo man ja auch immer ins nächste Fachgeschäft gehen könnte: 2017 wurde bereits jeder achte Euro in Deutschlands Einzelhandel online umgesetzt.

Selbstbedienung beim Lernen benötigt hilfreiche Infrastruktur

Aufs Lernen bezogen:

Wer würde lieber auf den Kurs in 3 Monaten warten, wenn er sich die aktuell nötigen Inhalte auch auf Youtube-Videos, im Internet, in Communities oder bei Experten selbst abholen kann?

Selbstbedienung statt Bedienung, klingt irgendwie nach schlechterem Service. Ist es aber nicht – wenn die Infrastruktur dafür stimmt. Der Online-Zugang muss einfach sein, die Zapfsäulen müssen für Selbstbedienung ausgelegt sein, der Laden muss fürs Selbstbedienen mit allen nötigen Informationen ausgestattet sein, die Bank muss Geldautomaten in meiner Nähe betreiben.

Das alles gilt auch für die Selbstbedienung beim Lernen. L&D muss sich um die Infrastruktur kümmern. Dass es im Internet fast allen Lern-Content gibt, ist kein Argument für eine vorhandene unterstützende Infrastruktur. Zu so einer erleichternden Infrastruktur gehören z.B.:

  • Zusammenstellungen relevanter Inhalte, mit kurzen Inhalts-Beschreibungen, evt. mit Bewertungen
  • Empfehlungen sinnvoll nacheinander zu nutzender Module
  • Beobachtungen was anderen geholfen hat zum Ziel zu kommen
  • Empfehlungen relevanter Communities
  • Unterstützung bei der Community-Bildung
  • Unterstützung beim Einstieg ins Netzwerken
  • Unterstützung fürs Aufbereiten und Bereitstellen des eigenen Wissens
  • Plattformen für Kommunikation und Dokumentation (soziale Intranets, Wikis, Yammer, …)

Wie in einem Baumarkt auch: Es reicht nicht alles hinzustellen. Bei fast allen Produkten sind Erklärungen nötig, mal auf der Verpackung und mal als erklärendes Kurz-Video am Regal. Und wenn man ihn braucht, ist auch ein Mitarbeiter persönlich greifbar.

Das soziale Intranet gehört zur Lern-Infrastruktur

Das Grundgerüst für eine ermöglichende und eine inspirierende Lern-Infrastruktur ist in jedem Falle eher ein soziales Intranet als ein LMS. Learning Professionals sollten also um das soziale Intranet kämpfen und nicht für das neue Learning Management System. Lernen kann man sowieso nicht managen, das passiert ganz nebenbei und fast unbemerkt. Wir können aber Lernen anregen und erleichtern. Das sind völlig andere Aufgaben für uns Learning Professionals, als das Aufbereiten und Verteilen von Wissen an Zielgruppen. Unser neuer Job ist es, die notwendige Selbstlern-Infrastruktur herzustellen und zu pflegen.

Selbstbedienung erfordert Werbung

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Wenn der Kunde wählen kann, braucht man als Anbieter seine Aufmerksamkeit. Wenn wir die „Lern-Regale“ füllen, dann müssen wir die Inhalte auch attraktiv „verkaufen“, sonst bedienen sich die Lernenden woanders. Das kehrt die Rollen um: Entscheider sind jetzt die Lernenden, wir Learning Professionals werden die von unseren Kunden abhängigen Dienstleister. Das wird nicht jedem gefallen, dürfte aber die Qualität der Angebote erhöhen.