(Wissen-)Teilen versus Senden

Ein Beitrag zum Jahresmotto der Corporate Learning Community “Wissen teilen”

Wissen vermitteln – das machen wir Learning Professionals schon immer, angepasst an die Zielgruppe. Damit “teilen” wir doch unser Wissen schon. So werden vermutlich viele denken. Da gibt es aus meiner Sicht einen kleinen aber entscheidenden Unterschied zwischen “Senden” und “Teilen”.

Wir Learning Professionals wurden in der Regel fürs Senden ausgebildet. Einen Sachverhalt für eine Zielgruppe aufbereiten, und den dann auch vermitteln, das ist oft auch noch heute unser üblicher Auftrag. Ob im Präsenz-Seminar, online, oder als abrufbares E-Learning – dabei “senden” wir an die Zielgruppe angepasste Inhalte. Das machen die Massenmedien auch. Im Rundfunk und Fernsehen sprechen wir ja tatsächlich vom Senden. Die Sendung mit der Maus wird für die Zielgruppe Kinder anders vorbereitet, als die Tagesschau für die Erwachsenen. Senden kann man also eher als professionelle Auftragsarbeit, für bestimmte Zielgruppen betrachten.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Was ist anders beim Teilen?

Mal abgesehen davon, dass man Wissen eigentlich gar nicht teilen kann (siehe Christoph Schmitt – mir fällt nur kein besserer Begriff dafür ein), hat das Teilen für mich eine andere Intention. Unter Teilen verstehe ich, nicht gezielt auf Menschen einwirken zu wollen. Ich teile mein Wissen ohne geplante Wirkungsabsicht. Das heißt, ich stelle mein Wissen zur Verfügung – egal ob es jemand braucht oder nicht. Wer es aber brauchen kann, soll sich bedienen können.

Formen und Wirkungen des Teilens

Ich schreibe für mich mit – und stelle das zur Verfügung

Jeder macht sich Notizen. Werden die digital erstellt, dann lassen sie sich leicht zur Verfügung stellen, z.B. in sozialen Netzwerken. Ich habe mir angewöhnt meine Notizen bei Vorträgen als Tweets zu formulieren. Die kann ich später nachlesen – aber auch jeder andere. Ich muss mir keine Gedanken darüber machen, wie das bei anderen ankommt, ich schreibe ja für mich. Und das sorgt ganz nebenbei für Authentizität.

Teilen ist öffentliches Schreiben – und damit Lernen

Meine Notizen sollen ja wirklich stimmen. Auch ich will mich nicht blamieren. Also denke und prüfe ich länger nach, ob das auch wirklich stimmt. Diese längere Beschäftigung ist Lernzeit.

Teilen ist Geben. Das ermöglicht das Nehmen

Andere teilen ihre Gedanken auch. Die darf ich aufnehmen. Wo viele teilen, geht Entwicklung schneller und leichter. Das beginnt aber immer mit dem Teilen.

Teilen ermöglicht Feedback

Wenn ich teile, können andere darauf reagieren. Weitere Aspekte, andere Sichtweisen, weitere Erfahrungen können mich als Reaktion auf mein Teilen erreichen. Dokumentiertes geteiltes Wissen kann wie ein Ablagepunkt für weiteres Wissen wirken.

Teilen schafft Verbindungen, bildet Netzwerke, erzeugt Zugehörigkeit

Teilen schafft Anknüpfungspunkte zwischen den Menschen. Das erleben wir in den sozialen Medien: Beiträge und Kommentare sind Prozesse des Wissen-Teilens – immer verbunden mit bestimmten Menschen. Nach einiger Zeit kennt man sich so gut, dass man beim ersten physischen Zusammentreffen meint, einen alten Bekannten zu sehen.

Teilen macht sichtbar

Wer seine Gedanken, Eindrücke und Erfahrungen teilt, wird im Fachgebiet bekannt. Man lernt die Person über ihre Beiträge schätzen. Persönliche Reputation entsteht im Laufe der Zeit.

Teilen stärkt Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit

Nur der Anfang ist ungewohnt. Wer das absichtslose authentische Teilen eine Weile praktiziert, erlebt positives Feedback und immer mehr von anderen geteilte Beiträge, die die eigene Entwicklung unterstützen. Die immer bessere Orientierung im Fachgebiet lässt mutiger werden. Man lernt mit der Zeit, die eigene Wirkung gut einzuschätzen.

Teilen mit Nutzungs-Erlaubnis

Das Urheberrecht schützt geistige Schöpfungen gegen ungenehmigte Weiterverwendung. Wer die Genehmigung gleich mitliefert, macht das Verwenden der geteilten Inhalte ganz einfach. Die weltweit verwendeten Creative Commons Lizenzen sind genau dafür geschaffen. Wer seine Beiträge mit CC BY kennzeichnet, erlaubt die beliebige Verwendung, wenn nur der Name des Autors genannt wird. Aus solchen Beiträgen bedient sich z.B. die OER Bewegung (Open Educational Resources).

Teilen braucht Infrastruktur

Wissen wird ja schon in jedem Gespräch geteilt. Austauschfördernde Rahmenbedingungen bilden spezielle Events, wie BarCamps, OpenSpace, … – und Communities (natürlich auch die Corporate Learning Community). Soziale Medien und das Internet sind dafür keine Bedingung, erleichtern aber das Teilen ganz enorm.

Die Initiative “Domain of One’s Own” der University of Mary Washington, gibt jedem Studierenden zu Beginn des Studiums einen eigenen öffentlichen Webspace. Damit soll das Wissen teilen schon im Studium selbstverständlich werden, mit all den oben genannten Effekten. Aus meiner Sicht ein sehr lernförderliches Beispiel, auch für uns Learning Professionals. Mit der eigenen Domain gibt es eine einheitliche Adresse zum Auffinden meiner Beiträge – auch für andere.

Fazit:

  • Im Teilen-Modus stellt man eigene Aufzeichnungen (Notizen, Podcasts, Videos, …) anderen öffentlich und absichtslos zur Verfügung.
  • Im Sende-Modus adressieren die Beiträge eine Zielgruppe, die man bewusst beeinflussen will.
  • Wer in Netzwerken teilt, bekommt in der Regel ein Vielfaches von anderen zurück.
  • Teilen ist eine gute Basis für die Bildung des persönlichen (Lern-)Netzwerks
  • Das öffentlich dokumentierte Beitragen wirkt wie ein Lern-Booster. Man denkt länger drüber nach, um sicher zu sein.
  • Mit der CC Lizenzierung erlaubt man die Weiterverwendung ohne Rückfrage
  • Teilen fördert die fachliche Reputation
  • Die eigene Domain ist der ideale Ort fürs Ablegen von eigenen Aufzeichnungen. Dort können auch andere meine Beiträge auch später noch finden.

P.S.: Auch dieser Beitrag steht unter der CC BY Lizenz, wie alle Beiträge auf colearn.de, siehe rechte Spalte.