Online-Events fördern (auch ohne Absicht) das selbstgesteuerte Lernen

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Mehr oder weniger unfreiwillig haben viele Veranstalter in diesem Jahr ihre geplanten Präsenz-Events in Online-Veranstaltungen umgewandelt. Das gab mir und vielen anderen Teilnehmenden reichhaltige Gelegenheiten, um Erfahrungen mit Online-Events zu sammeln. So langsam wird klar: Online funktioniert auch – aber anders.

Teilnehmer nutzen die Online-Vorteile

Wer zu einer Präsenzveranstaltung fährt, ist in der Regel den ganzen Tag dabei – auch wenn der eine oder andere Beitrag nicht so spannend ist. Online ist das deutlich anders: Kaum jemand ist den ganzen Tag dabei. Man pickt sich die interessanten Themen raus. Und wenn das Thema dann doch nicht so recht weiterhilft, genügt ein Klick. Es gibt schließlich genügend Anderes zu erledigen – meist am gleichen Gerät. Und wenn man bei diesem Event mit seinem Thema nicht so recht weiterkommt, dazu gibt es auch weitere Online-Events und Angebote im Internet. Das ist schon fast so etwas wie ein Schlaraffenland für Wissbegierige.

Kaffeepausen und Abendevent gehen auch online

Noch ungewohnt, aber stark im Kommen, sind Plattformen wie Wonder.me, Gather.town, Veertly.com oder Remo.co, die das selbstgesteuerte Plaudern unterstützen. Nach Präsenzveranstaltungen sagen viele, das diese informellen Gespräche das Wichtigste an der Konferenz waren. Dabei findet Netzwerkbildung und Netzwerkpflege statt. Ein offensichtlich für die Teilnehmenden wichtiger Punkt. Man bekommt neue Informationen, kann Kontakte knüpfen, Verabredungen treffen, und sich in seinem Fachgebiet orientieren.

Wer sich online die Zeit nimmt, kann das alles auch in den neuen “Plauder-Plattformen” erleben. Auch hier die Erfahrung: Wenn in Präsenz in den Pausen fast alle da sind, sind es Online deutlich weniger. Zwei Gründe kann man dafür raushören: Das lange-am-Bildschirm sitzen, wollen viele gern durch Aufstehen, Kaffee holen oder einfach “Beine vertreten” unterbechen. Gerade im Homeoffice gibt es genügend weitere Kurzaufgaben, die man gern als Unterbrechung dazwischen schiebt – oder gar nicht anders kann, als sich um die jetzt zu kümmern.

Die Online-Abbildung von Abendevents gab es erst bei ganz wenigen Events, z.B. dem lernOS All-Stars Camp, dem Corporate Learning Camp CLC20 DA, oder dem KnowledgeCamp GKC20. Abendevent ist auch online möglich und kann auch richtig spannend sein. Erste Erfahrungen zeigen aber auch hier deutlich weniger Teilnehmer, als beim gleichgroßen Präsenz-Event. Wenn man zu Hause ist, gibt es eben auch Erwartungen die Familienpflichten zu erfüllen.

Was müssen wir Online-Event Veranstalter daraus schließen?

Gemessen an der Gesamtzahl Teilnehmender, sinkt die Beteiligungsquote an den einzelnen Programmpunkten, in den Pausen und erst recht beim Abendevent. Dafür kann die Gesamt-Teilnehmerzahl online deutlich höher sein. (Das hat sich auch in der Corporate Learning Community gezeigt: Online haben sich mehr angemeldet, als für die geplanten Präsenz-Veranstaltungen.)

  • Das selektive Auswählen einzelner Programmpunkte ist das neue Normal bei Online-Veranstaltungen. Für diese “autonomen Teilnehmenden” hängt die Beteiligung an einzelnen Beiträgen auch von der Attraktivität der Ankündigung dieser Beiträge ab.
  • Online-Anwesende prüfen dauernd, ob sich das weitere Dabei-Bleiben lohnt. Mit einem Klick kann der Beitrag jederzeit verlassen werden. Der dargestellte Inhalt muss interessant bleiben, und / oder die aktive Beteiligung muss einen binden.
  • Die Dabei-Bleib-Entscheidung gibt es auch morgens beim Start der Veranstaltung: Eine lange Eröffnungsrede verleitet zum Weg-Klicken. Zu Beginn werden die Erwartungen für den weiteren Verlauf des Tages geprägt. Wenn der Start nicht attraktiv ist, sinkt die Wahrscheinlichkeit für die Beteiligung während des Tages.

Irgendwie stehen Online-Konferenz-Veranstalter heute in der gleichen Situation wie Fernseh-Sender oder Online-Plattformen schon lange: Zuschauer können jederzeit wegzappen, und kommen möglicherweise nicht wieder. Vielleicht sollten wir uns ein wenig von deren Strategien abschauen, z.B.

  • wie sie ihre Beiträge ankündigen
  • wie sie Inhalte spannend aufbereiten
  • wie sie dafür sorgen, dass man beim nächsten Beitrag auch dabei sein will.
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Jedenfalls erleben wir online den selbstgesteuerten Lernenden, der jetzt alle Freiheiten hat. So eine Idee, wie “Das müssen die jetzt alle hören”, läßt sich online nicht mehr durchsetzen. Die Lernenden entscheiden selbständig, was sie für wichtig halten, und wofür sie Zeit und Aufmerksamkeit einsetzen. Da kehrt sich etwas grundsätzlich um: Nicht der Veranstalter gibt vor, was wer in welcher Reihenfolge lernt, sondern jeder Teilnehmer plant seinen eigenen Weg durch die Agenda. Die Leistung des Veranstalters sieht er als wähl- und abwählbares Angebot nur eines Dienstleisters. Online haben Teilnehmer leichten Zugang zu vielen solcher Dienstleistungen.

Besser gleich den nächsten Entwicklungsschritt machen

Im ersten Schritt haben wir die Präsenz-Veranstaltungen ja nur online abgebildet. Dabei haben wir bei Präsenzveranstaltungen allein durch die notwendige Anreise ganz andere Rahmenbedingungen:

  • Wer Aufwand und Kosten für die Anreise auf sich genommen hat, der muss möglichst viel mitnehmen können – am Konferenztag.
  • Damit muss der Tag gut gefüllt sein. Für einen halben Tag würden viele nicht anreisen.
  • Das Netzwerken, also die persönlichen Gespräche, müssen auch an dem Tag stattfinden können. Gerade dafür sind ja viele gekommen.

Präsenzveranstaltungen haben eigentlich immer zwei Ziel-Erwartungen der Teilnehmer in der Konferenz-Zeit zu erfüllen: Die fachliche Weiterentwicklung und das Ausbauen des eigenen Netzwerkes. In der Präsenz muss beides synchron auf der Veranstaltung passieren.

Der Rahmen für eine Online-Beteiligung ist viel größer:

  • Online fällt der Anreise-Aufwand weg. Eine Beteiligung ist fast jederzeit möglich, und muss gar nicht den ganzen Tag füllen.
  • Nur wenn es um den Austausch im Gespräch geht, muss das synchron geschehen
  • Vortrags-Beiträge können als Aufzeichnung online zur Verfügung gestellt werden – vor, während und nach dem Event.
  • Asynchroner Austausch (in Foren, sozialen Medien, …) ist online problemlos zu jeder Zeit möglich
  • Das Netzwerken ist ohnehin eher ein andauernder Prozess, der durch einen Online-Event unterstützt werden kann – und sogar besser vor, während und nach dem Event stattfindet.

Es wird nach wie vor wichtig sein, Themen zu einer bestimmten Zeit eventartig anzukündigen. Auch der Austausch dazu braucht einen Zeitrahmen, in dem sich möglichst viele gleichzeitig damit beschäftigen. Nur sind wir online nicht mehr auf wenige Tage beschränkt.

Ein Online-Event könnte einen Monat oder auch zwei Wochen dauern:

  • Fachliche Erklärungen könnten vorab als Aufzeichnung bereitgestellt werden. Oder auch als tägliche Live-Session während der Event-Zeit aufgezeichnet werden.
  • Die Ankündigung der einzelnen Inhalts-Beiträge muss attraktiv sein
  • Synchrone Online-Austausch-Sessions könnten die Aufzeichnungen ergänzen.
  • Wenn die Diskussion asynchron läuft, dürfte die Qualität des Austausches steigen: Jeder hat mehr Zeit zum Überlegen, bevor er oder sie antwortet.
  • Event-Management ist online eher Community-Management: Die Community zum Beitragen anregen, Beiträge sichtbar machen, Zusammenfassungen geben, weitere Themen anregen – und weitere Beitragende (neue Community-Mitglieder) gewinnen.

Insgesamt werden Online-Events mit “autonom entscheidenden Teilnehmern” aus meiner Sicht immer mehr zu Community-Events. Teilnehmende werden zu Teilgebenden, die weite Teile – oder den ganzen Event – selber gestalten. (In der Corporate Learning Community ist das heute schon so).

Fazit

Die durch Corona ausgelöste Online-Erfahrung erlaubt Lernenden selbst in formal angelegten Lern-Settings, selbstgesteuert nach eigenen Interessen vorzugehen. Der Versuch das Lernen fremdgesteuert zu gestalten, wird von Online-Lerndenden nur noch als möglicher Vorschlag verstanden, dem man nicht folgen muss.

Das hat Konsequenzen für uns Veranstalter:

  • Der “Kunde” wird jetzt eindeutig der Teilnehmer, nicht der Entsender
  • Unsere Angebote müssen modular wählbar sein
  • Die einzelnen Module brauchen eine attraktive und stimmige Beschreibung
  • Wir müssen für unsere angebotenen Module werben, ein Marketing dafür aufbauen
  • Generell: Weniger Inhalte “verkaufen”, dafür mehr Rahmen für den Austausch unter Experten gestalten
  • Weil Lernen ein Prozess ist, sollten wir uns von der kurzen Event-Idee verabschieden: Eher eine Community zu einem Thema über mehrere Wochen begleiten.

Also: Mehr Community-Manager werden, statt Konferenz-Veranstalter.