Herwig Kummer hat im CLC Lunch&Learn das Thema „Lernreisen” vorgestellt und dabei auf seine Erfahrungen als Personalleiter beim ÖAMTC und bei der Corporate Learning Community Austria zurückgegriffen. Er teilte seine Erkenntnisse darüber, wie Lernreisen nicht nur geplant, sondern auch so gestaltet werden, dass sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begeistern und weiterbringen. Eine gut durchdachte Lernreise ist der Schlüssel zu nachhaltiger Entwicklung – und Herwig hat uns gezeigt, wie es geht.
Was sind eigentlich Lernreisen?
Lernreisen sind ein bewusst gestaltetes Lernformat, das einen Perspektivwechsel erfordert. Statt Vorgaben von außen stehen Selbststeuerung, Eigenverantwortung und Freiwilligkeit im Mittelpunkt:
- Selbstgesteuert heißt: Die Teilnehmenden bestimmen Tempo, Inhalte und Vorgehen. Sie übernehmen Verantwortung dafür, wie ihre Lernreise verläuft.
- Eigenverantwortlich bedeutet: Jede Person trägt die Verantwortung für ihr eigenes Lernen – nicht HR, nicht die Führungskraft, nicht die Organisation.
- Freiwillig unterstreicht: Eine Lernreise funktioniert nur, wenn Menschen sich aus eigenem Antrieb auf den Weg machen. Der Abbruch ist jederzeit möglich – und manchmal sogar sinnvoll, wenn ein anderes Lernziel wichtiger wird.
Welche Formate von Lernreisen gibt es?
Nicht jede Lernreise sieht gleich aus – je nach Ziel, Erfahrung und Rahmenbedingungen lassen sich verschiedene Formate unterscheiden. Drei Metaphern helfen, die Unterschiede greifbar zu machen:
Stadtführung – die strukturierte Variante
Klar definierte Lernpfade mit Wochenplänen und Übungen. Ideal für Einsteiger*innen, die Orientierung suchen. Beispiele: LernOS, Working Out Loud.
Vorteil: Sicherheit durch Struktur
Risiko: Weniger Raum für spontane Exploration
Safari – die flexible Entdeckungsreise
Der Rahmen ist abgesteckt, aber die Route ergibt sich situativ. Themen und Reihenfolge wählt die Gruppe flexibel – abhängig von Interessen und Gelegenheiten.
Vorteil: Hohe Anpassungsfähigkeit.
Risiko: Lernziele können ohne klare Fokussierung verwässern.
Expedition – die offene Reise ins Unbekannte
Eine Vision oder Leitfrage gibt die Richtung vor. Die Gruppe gestaltet Inhalte, Ablauf und Rollen selbst. Besonders geeignet für erfahrene Peer-Learner.
Vorteil: Maximale Selbstorganisation, oft mit innovativen Ergebnissen.
Risiko: Gefahr der Überforderung ohne Begleitung.
 
Die Gruppe ist das Herzstück der Lernreise
Eine der wichtigsten Erfahrungen aus Lernreisen: Die Gruppe macht den Unterschied.
Warum?
- Motivation & Durchhaltevermögen – Wer alleine lernt, verliert schnell den Faden. In der Gruppe entsteht Verbindlichkeit, die hilft, über Wochen hinweg dranzubleiben.
- Vielfalt & Perspektiven – Unterschiedliche Hintergründe und Erfahrungen führen zu Aha-Momenten, die im Alleingang kaum möglich wären.
- Energie & Dynamik – Gerade in längeren Lernreisen trägt die Gruppe, wenn die Motivation einzelner nachlässt.
Erfahrungen zeigen:
- Idealgröße sind 5–6 Personen – klein genug für echten Austausch, groß genug, damit Ausfälle nicht ins Gewicht fallen.
- Bei speziellen Formaten wie der „Expedition Führung“ können es auch bis zu 10 Personen sein – hier wird die Dynamik sogar durch mehr Stimmen gestärkt.
- Eine typische Dauer von 12–13 Wochen wird als vorteilhaft gesehen, da sie eine gewisse Verbindlichkeit und Routine schafft.
Kick-Off & Neugier: Der Motor für erfolgreiche Lernreisen
Der Start entscheidet oft über den Verlauf einer Lernreise. Ein Kick-Off ist mehr als ein organisatorischer Auftakt – er setzt Energie frei, schafft Orientierung und macht Lust auf die gemeinsame Reise.
Erfolgsfaktoren:
- Kreative Einladung: Statt der üblichen E-Mail weckt eine Postkarte, ein Überraschungsmoment oder eine persönliche Ansprache mehr Aufmerksamkeit.
- Neugier wecken: Menschen schließen sich Lernreisen selten aus rationaler Kalkulation an – sondern, weil sie spüren, dass etwas Spannendes passieren könnte.
- Gruppenbildung ermöglichen: Ein Kick-Off schafft Raum, damit sich Menschen finden, die wirklich miteinander lernen wollen.
Erfahrungen zeigen: Teilnehmende kommen manchmal nur „zum Schauen“ – und sind plötzlich mittendrin, weil die Dynamik und Energie sie mitziehen. Neugier wirkt dabei wie ein Sog: Wer einmal eingestiegen ist, will meist dabeibleiben.
Die Basisausstattung einer Lernreise
Damit eine Lernreise gelingt, braucht es keine aufwendigen Tools oder riesige Budgets – wohl aber eine klare Grundausstattung.
Was hat sich bewährt?
- Eine freiwillige Gruppe: Menschen, die aus eigenem Antrieb dabei sind.
- Ein Kick-Off: als verbindender Startpunkt, um Energie und Klarheit zu schaffen.
- Regelmäßige Treffen: meist wöchentlich, über 12–13 Wochen, damit Routine entsteht.
- Ein gemeinsames Thema oder Leitfaden: genug Orientierung, ohne die Freiheit einzuschränken.
- Ein digitales Arbeitsmedium: Whiteboard, OneNote oder ähnliche Tools, um Inhalte zu sichern und asynchron zusammenzuarbeiten.
- Klare individuelle Lernziele: formuliert, geteilt und mit der Gruppe reflektiert.
- Zeit für Selbstlernen: denn zwischen den Treffen passiert der eigentliche Transfer.
Mit diesen Basics steht das Fundament – alles Weitere ergibt sich aus der Dynamik der Gruppe.
Rollen & Verantwortlichkeiten in Lernreisen
Eine Lernreise lebt nicht nur von Inhalten, sondern vor allem davon, wie die Gruppe Verantwortung verteilt. Es ist wichtig, die verschiedenen Rollen in einer Lernreise klar zu definieren.
Erfolgsprinzip: geteilte Verantwortung
- Teilnehmende übernehmen Eigenverantwortung und wechseln in rotierenden Rollen: mal vorbereiten, mal moderieren, mal Impulse geben.
- Lernbegleiter*innen (wenn vorhanden) unterstützen den Prozess – nicht als „Lehrer“, sondern als Moderator*innen, Coaches oder Supervisor*innen.
- Expeditionsleiter*innen sind in freien Formaten oft sinnvoll: Sie sorgen für Orientierung, ohne den Lernprozess zu dominieren.
- Personalabteilung (HR) als Enabler sorgt nicht für Inhalte, sondern schafft Rahmenbedingungen, Infrastruktur und Sichtbarkeit, damit Lernreisen in der Organisation entstehen und Wirkung entfalten können.
- Führungskräfte unterstützen Lernreisen, indem sie Zeit und Priorität sichern, als Vorbilder Lernbereitschaft zeigen und so den Transfer ins Team fördern.
Eine spannende Metapher:
Erfahrene Bergführer wurden in manchen Lernreisen als externe Begleiter eingesetzt. Warum? Weil sie genau diese Rollenflexibilität beherrschen: manchmal führen, manchmal sichern, manchmal einfach nur beobachten.
Zieldefinition – der Kompass jeder Lernreise
Ohne klares Ziel wird jede Lernreise schnell zum ziellosen Umherwandern. Deshalb ist die Zieldefinition einer der entscheidenden Schritte – und oft zugleich die größte Herausforderung.
Worauf es ankommt:
- Individuell formulieren: Alle Teilnehmenden definieren zu Beginn, was sie oder er aus der Lernreise mitnehmen möchte.
- Mit der Gruppe challengen: Ziele werden nicht nur aufgeschrieben, sondern in der Gruppe gespiegelt – so entsteht mehr Klarheit und Verbindlichkeit.
- Flexibilität bewahren: Ziele dürfen sich unterwegs verändern – wichtig ist, dass dies bewusst geschieht und nicht zufällig „verläuft“.
- Fokus statt Druck: Es geht nicht darum, das Ziel sklavisch zu erreichen, sondern einen klaren Orientierungspunkt zu haben.
Praxis-Erfahrung:
Viele Teilnehmende erkennen erst am Ende, wie wertvoll eine sorgfältige Zieldefinition gewesen wäre. Deshalb lohnen sich Hilfestellungen – etwa kurze Tutorials oder Beispiele für gute Lernziele.
Stolpersteine auf Lernreisen
So wertvoll Lernreisen sind – sie funktionieren nicht automatisch. Es gibt typische Hürden, die leicht übersehen werden und dann den Lernerfolg gefährden.
Die häufigsten Stolpersteine:
- Fehlende Motivation – Wer nicht wirklich will, wird auch nicht durchhalten.
- Falsche Gruppenzusammensetzung – wenn die Chemie gar nicht passt, bleibt die Energie auf der Strecke.
- Selbstüberlassung statt Selbststeuerung – ohne klaren Rahmen fühlen sich Gruppen schnell orientierungslos und überfordert.
- Keine Reflexion – ohne regelmäßige Retros geht die Lernkultur verloren, kleine Konflikte wachsen und Ziele verschwimmen.
- Ungeeignete Themen – verpflichtende Compliance-Trainings oder „Muss-Themen“ passen nicht zum Prinzip Freiwilligkeit.
Praxis-Erfahrung:
Der feine Unterschied zwischen Selbststeuerung (klarer Rahmen, aber Eigenverantwortung) und Selbstüberlassung (keine Orientierung, nur Chaos) entscheidet oft über Erfolg oder Frust.
Ein Wegweiser für das Lernen der Zukunft
Das Konzept der Lernreisen holt das Lernen aus der isolierten Theorie heraus und integriert es in die berufliche Praxis. Durch gezielte Struktur, Rollenklarheit und Verbindlichkeit wird aus einer losen Ansammlung von Inhalten ein kraftvoller, nachhaltiger Prozess.
 
Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass dieses Format nicht für alle Personen und Themen geeignet ist („one size fits all“). Die Diskussion hat gezeigt, dass Skepsis gegenüber der Länge oder dem Format einer Lernreise normal ist. Doch genau darin liegt die Stärke des Konzepts: Es ist kein starrer Fahrplan, sondern ein anpassbares „Kochrezept“, das je nach Bedarf und Ziel variiert werden kann. Ob 12 Wochen oder ein kürzerer Zeitraum – die Kernidee, die Teilnehmer aktiv zu begleiten und Reflexion zu fördern, bleibt bestehen.
Am Ende steht die Erkenntnis, dass erfolgreiches Lernen eine bewusste Entscheidung erfordert. Es ist eine Investition, die sich auszahlt, wenn alle Beteiligten – von den Lernbegleitern bis zu den Führungskräften – ihre Rolle verstehen und gemeinsam an einem Strang ziehen. Lernreisen sind somit nicht nur ein Weg, Wissen zu vermitteln, sondern ein Schlüssel, um eine echte und nachhaltige Lernkultur in Unternehmen zu etablieren.
Für Neugierige: Lese- und Hörempfehlungen zum Thema
Herwig Kummer und Clemens Stieger: So funktionieren Lernreisen: Ein bewegender Weg zu einer neuen Lernkultur (dieser Beitrag ist auch in der Ausgabe 5/2025 des personal manager erschienen)
Der Artikel unterscheidet drei Arten von Lernreisen:
- Strukturierte „Stadtführungen“: mit festen Lernpfaden.
- Flexiblere „Safaris“: in einem definierten Themengebiet.
- Unstrukturierte „Expeditionen“: beginnen mit einer Leitfrage und erkunden Unbekanntes.
Herwig Kummer: KI – Lernbooster oder Lernkiller? Braucht Corporate Learning Künstliche Intelligenz? Und wenn ja, wozu? Ein Nachbericht über meine Lernreise im #CLCA Kernteam.
In dem Beitrag wird eine unstrukturierte und explorative Lernreise reflektiert. Diese umfasste eine 13-wöchige „Expedition” eines fünfköpfigen Teams, das die Potenziale von KI erkunden sollte. Das Ergebnis der Lernreise ist ein Perspektivwechsel. Die Lernreise führte zu dem Schluss, dass sich die Rolle von L&D-Experten von reinen „Content-Produzenten” zu „Entwicklungsdesignern und KI-Dirigenten” wandeln muss.
Herwig Kummer & Barbara Wietasch: Sind Lernreisen die Zukunft im Corporate Learning? (Podcast)
Das Gespräch macht deutlich, dass Lernreisen von einer geteilten Verantwortung leben: Teilnehmende treiben den Lernprozess selbstbestimmt voran, Lernbegleiter:innen moderieren und schaffen Struktur, HR stellt Infrastruktur bereit, und Führungskräfte ermöglichen Zeit und Rahmen. Dieses Zusammenspiel sorgt dafür, dass Lernreisen nicht nur punktuelle Weiterbildung, sondern einen kulturellen Wandel in der Organisation bewirken.
Hinweise zum Einsatz von KI bei der Erstellung dieses Beitrags
TurboScribe: Videotranskription, ChatGPT/Gemini: Thematische Gliederung der Transkription in Chunks und Schreibunterstützung, DeepL: Paraphrasierung und Überprüfung.
