Themen des Corporate Learning Camps 2018: Was bringt die Blockchain?

Ist die Blockchain eine disruptive Technologie oder verändert und optimiert sie lediglich einige Verfahren? Was kann die Blockchain für den Bildungssektor leisten? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander.
Im zweiten Interview (hier das erste) gehen wir in die Hochschullandschaft und fragen Dr. Nadine Ostern an der TU Darmstadt.
Die Fragen stellte Charlotte B. Venema, Corporate Learning Community
Charlotte: Nadine, kannst du bitte deinen Job kurz beschreiben und was deine Arbeit mit Blockchain zu tun hat?

Nadine: Sehr gerne. Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Wirtschaftsinformatik: Software & Digital Business an der Technischen Universität Darmstadt. Im Rahmen meiner Tätigkeit beschäftige ich mich unter anderem mit digitalen Geschäftsmodellen, deren Umsetzbarkeit sowie IT-Sicherheit und Privatsphäre als Bestandteil von Geschäftsmodellen. Blockchain Technologie ist ein wesentlicher Bestandteil davon. Ich untersuche Anwendungsfelder der Blockchain und analysiere, ob diese technisch realisierbar und gleichzeitig auch sicher sind. Ein Beispiel hierfür wäre die Untersuchung eines blockchain-basierten Accounting Systems basierend auf einem Prototypen.

Charlotte: Gibt es eine kurze, einvernehmliche Definition für „Blockchain“ und wo kann man sich am besten genauer informieren?
Nadine: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten! Aus meiner Sicht gibt viele Definitionen die sich sehr ähneln, aber auch auf vielen Annahmen beruhen. Diese Annahmen gehen zurück auf die „ursprüngliche“ Definition der Blockchain durch Nakamoto, die dem Bezahlsystem Bitcoin unterliegt. Die Blockchain wird dementsprechend als dezentrale Datenbank mit den Eigenschaften der Dezentralität, Unveränderbarkeit der Einträge und der Möglichkeit zur vollständigen Dis-Intermediation beschrieben. Allerdings gelten diese Eigenschaften nur unter bestimmten Bedingungen. Wenn wir das technische Design der Blockchain ändern (bspw. die Einsehbarkeit der Einträge einschränken oder andere Konsensmechanismen implementieren), dann gelten diese Eigenschaften nicht mehr. Dies kann man häufig auch bei Startups beobachten, die ihr Geschäftsmodell auf einer Blockchain basieren. Wenn ein Startup eine Blockchain anbietet, die von Ihnen betrieben wird, dann ist das Startup prinzipiell auch in der Lage Einträge in der Blockchain zu verändern, wenn nicht ausreichend viele Parteien in den Konsensmechanismus involviert sind. Die Kontrolle ist also nicht mehr dezentral sondern zentral. In meinen Augen ist dies dann keine Blockchain mehr. Allerdings gibt es auch aus wissenschaftlicher Sicht keine einheitliche Meinung, was notwendige und hinreichende Kriterien der Blockchain sind. Das ist meiner Meinung nach ein großes Problem, da dies zu überhöhten Erwartungen an die Technologie führt.

Wer sich über Blockchains informieren will, dem würde ich daher raten zunächst Bitcoin und die Funktionsweise der Blockchain zu verstehen. Ausgehend von diesem Anwendungsfall kann man sich näher mit den technischen Grundlagen und/oder weiteren Anwendungsfeldern beschäftigen. Wenn man sich für Anwendungsfelder interessiert, ist mein Tipp die Verwendung der Blockchain stets kritisch zu hinterfragen! Die Technologie ist häufig auch ein Marketing Tool für Unternehmen um mehr Aufmerksamkeit zu generieren – nicht jede verteilte Datenbank ist auch gleich eine Blockchain!

Charlotte: Das Corporate Learning Camp und die Community hier beschäftigt sich mit – im weitesten Sinne – Lernen und Entwicklung in Unternehmen und anderen Organisationen. Aber ich möchte etwa allgemeiner anfangen. Was kann die Blockchain beitragen, wenn sich Menschen in Communities, Unternehmen oder sonstigen Gruppen zu irgendeinem gemeinsamen Zweck zusammenschließen?
Nadine: Die grundlegende Frage, die man sich bei einer Blockchain stellen muss lautet immer: „wem traue ich nicht?“ Sinnvoll ist die Anwendung einer Blockchain in der Gesellschaft oder in Organisationen also immer dann, wenn mehrere Personen an einem Prozess beteiligt sind, die sich gegenseitig nicht trauen und Nachvollziehbarkeit implementiert werden soll. Ein gutes Beispiel sind hierfür Wahlen. Wenn ich den Ergebnissen einer Wahlauszählung nicht traue, weil möglicherweise Korruption betrieben wird, dann bietet sich die Verwendung der Blockchain an. Im Unternehmen ist diese Frage schon schwerer zu beantworten. Neben der Frage des Vertrauens bzw. des Misstrauens kommt hier noch hinzu, ob eine erhöhte Transparenz wirklich immer wünschenswert und sinnvoll ist. Ich denke, dass man dies nicht pauschal beantworten kann. Eine weitere Frage, die sich Unternehmen stellen müssen, ist ob sich die Kosten der Implementierung und des sicherlich notwendigen Lernprozesses rechtfertigen lassen.

Wenn du mich fragst, wird der Einfluss der Blockchains angesichts dieser Fragestellungen größer in Ländern sein, in denen politische und/oder ökonomische Probleme vorherrschen (u.a. Korruption, hohe Fluktuation der Wechselkurse). Hier kann die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Einträgen sowie die Demokratisierung von Prozessen zu einer deutlichen Verbesserung führen. In Industrieländern würde ich vermuten, dass die Blockchain eher eine Nischenlösung wird. Ich gehöre dementsprechend also nicht zu den Blockchain-Enthusiasten, die eine Neugestaltung ganzer Industrien durch die Blockchain erwarten. Sicherlich wird die Blockchain in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen, doch ich erwarte nicht, dass dieser Einfluss disruptiv sein wird.

Charlotte: Wie sieht das im Bildungssystem aus? Die Validierung von Abschlüssen und Bildungsleistungen, z.B. Hochschulzugangsberechtigung, Prüfungen, Examen, Titel, Zertifizierung von Kenntnissen in sicherheitsrelevanten Bereichen, ist hier ein wichtiges Thema, insbesondere bei internationaler Mobilität. Kann die Blockchain die Dinge vereinfachen, Betrug ausschließen und damit Kosten und Aufwand senken?

Nadine: Ich denke in diesem Bereich könnte die Blockchain einen Mehrwert schaffen. Zertifizierungen, die bisher digital oder sogar manuell erstellt worden sind könnten durch die Konsensmechanismen der Blockchain realisiert werden. Das fördert die Integrität der Dokumente und schützt vor Manipulationen. Die Tatsache, dass die Informationen auf der Blockchain im Rahmen des peer-to-peer Netzwerkes repliziert werden trägt auch dazu bei, dass Dokumente nicht oder schwerer vernichtet bzw. verloren gehen können. Denken wir zum Beispiel an Menschen auf der Flucht aus Kriegsgebieten: Wenn die Bildungsnachweise zerstört sind, haben diese meistens keine Chance ihre Qualifikationen nachzuweisen. In einer Blockchain wäre dies ein geringeres Problem. Da jeder Knoten im Netzwerk die gleichen Informationen besitzt, ist der Ausfall einzelner, zufälliger Knoten kein Problem. Die Information geht also nicht verloren.

Allerdings bleibt auch hier die Frage nach der Ausgestaltung. Jede Blockchain, die von einem Startup oder Unternehmen angeboten wird hat anfangs starke zentrale Tendenzen. Natürlich müssen erst Kooperationspartner gefunden werden, damit Dezentralität entstehen kann. Nur eine ausreichend große Zahl an Teilnehmern garantiert, dass nicht eine oder ein Zusammenschluss von Netzwerk-Knoten auch hier Dokumente verfälschen oder löschen kann. Ohne Dezentralität brauchen wir theoretisch auch keine Blockchain – dann sind andere Lösungen, z.B. die Speicherung von Dokumenten auf einer Cloud oder einer anderen Art der dezentralen Datenbank ausreichend und wahrscheinlich auch günstiger. Es stellt sich also (unter anderem) die Frage, wann eine hinreichend große Anzahl an Kooperationspartnern (zum Beispiel Universitäten) erreicht ist, um die Integrität und Sicherheit der auf der Blockchain gespeicherten Dokumente zu gewährleisten.

Charlotte: Wäre die Blockchain eine Lösung, wenn sich z.B. Hochschulen international vernetzen und ihre Abschlüsse gemeinsam dokumentieren und ein bestimmtes Niveau garantieren? Hier hätten wir mit den nationalen Bildungsministerien und supranationalen Organisationen genug misstrauische Mitspieler, um Pseudoabschlüsse und „Bildungsdumping“ auszuschließen. Der Wert z.B. eines Bachelors ist ja international ziemlich variabel………

Nadine: Das klingt nach einem spannenden Anwendungsfall. Aber auch hier stellt sich die Frage, wie man Betrug ausschließt. Nehmen wir das Beispiel Bildungsdumping: Nur weil bestimmte Einrichtungen versichern (vielleicht auch glaubhaft auf einer Blockchain versichern), dass ein bestimmtes Niveau an Bildung gewährleistet ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass das auch wirklich der Fall ist. Letztendlich kann genau da getäuscht werde, wo Bildung nicht digital ist und dementsprechend der Lehrstoff und die Qualität der Ausbildung nicht transparent sind. Man müsste das Bildungssystem demnach vollständig digitalisieren, um vollkommene Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu garantieren. Das heißt nicht, dass ein solches Konzept nicht umsetzbar ist. Allerdings liegt noch ein weiter Weg vor uns: Leider ist die Realisierung von solchen Anwendungsvorschlägen sehr oft weitaus komplizierter, sobald man sich von der Vorstellung der Blockchain „wie sie sein soll“ gelöst hat.

Charlotte: Wo hat die Blockchain – jenseits von Cryptocurrencies – bereits in Unternehmen Fuß gefasst und wo wird sie voraussichtlich in Zukunft eine Rolle spielen? Welche Unternehmen und welche Funktionen in Unternehmen sollten sich jetzt in das Thema einarbeiten?

Nadine: Keine leichte Frage! Das liegt vor allem daran, dass man nicht pauschalisieren kann, welche Unternehmen sich mit der Blockchain beschäftigen sollten. Auf den ersten Blick, scheint die Blockchain für viele Industrien sehr attraktiv zu sein. Wie ich es aber bereits an einigen Stellen angedeutet habe, ist die Umsetzung häufig mit vielen Schwierigkeiten verbunden und man muss sehr genau prüfen, ob die Blockchain als Technologie überhaupt Sinn macht. Es stellt sich dann oft heraus, dass andere Technologien günstiger und auch einfacher zu implementieren sind sowie eine höhere Sicherheit bieten (bspw. Cloud oder Platform Lösungen).

Nichtsdestotrotz sollte sich jedes Unternehmen mit der Technologie befassen und überlegen in welchen Bereichen die Blockchain einen Mehrwert bieten könnte. Danach stellt sich die Frage der technischen Umsetzbarkeit sowie eine Kosten-Nutzen Analyse. Viel lernen kann man sicherlich auch aus bisherigen Anwendungen der Blockchain durch andere Unternehmen. Davon sind die einige in der Testphase, viele sind bereits gescheitert. Vor der Entscheidung Blockchain Technologien im Unternehmen anzuwenden, stellt sich demnach also auch die Frage, ob es bereits ähnliche Anwendungsfälle gab und wie man aus dem Erfolg oder Misserfolg dieser Unternehmen lernen kann.

Charlotte: Auch wenn die Einführung der Blockchain nicht disruptiv ist, wird ihre Einführung viele Arbeitsprozesse in den Unternehmen verändern? Kann man schon absehen, wie groß der Effekt sein könnte?

Nadine: Die Antwort hängt natürlich von der Erwartungshaltung ab. Folgt man meiner Erwartung, dass die Blockchain sich eher zu einer (durchaus wichtigen) Nischenlösung entwickeln könnte, dann ist der Einfluss auf Arbeitsprozesse insgesamt gesehen eher gering. Die Blockchain wird ja auch häufig als „backbone“ Technologie, also als Rückgrat für bestimmte Geschäftsmodelle oder Prozesse bezeichnet. Das bedeutet, wie andere Informationensysteme agiert die Blockchain im Hintergrund und automatisiert. Die Art und Weise wie Mitarbeiter arbeiten, wird demnach eher peripher beeinflusst und zwar insbesondere durch das Potential Prozesse durch Dis-Intermediation zu verkürzen und transparent zu machen. Am meisten wirkt sich dies aber sicherlich auf die Kosten eines Unternehmens aus. Wie groß dieser Einfluss letztendlich ist, hängt aber maßgeblich vom Anwendungsfall, der Industrie, der Implementierungsform und der Tatsache ab, wie viele Prozesse durch die Blockchain unterstützt werden.

Charlotte: Nadine, ich danke dir für das Gespräch!n Wir werden die Diskussion zwischen Euphorie und Skepsis auf dem Corporate Learning Camp fortsetzen.