Agiles Arbeiten und Lernen nicht trennen #MOOCamp20

(23.05.2020: Dieser Blogpost wurde ergänzt nach einer BarCamp-Session am Ende der 5. MOOCamp20-Woche.)

Agil Lernen ist das Thema dieser MOOCamp20 Woche. Gestalter ist das Team von Quality Minds. Sie schlagen in dieser Woche 4 Lernpfade vor, um sich in das Agile Lernen einzuarbeiten. Eigentlich eine gute Idee. Ich habe den Themenschwerpunkt agiles Lernen gewählt und beide Lernpfade angesehen, Grundlagen agiles Lernen und Vertiefung agiles Lernen.

Ich wollte schon immer mal die Idee von agilem Lernen verstehen. Mein erste faszinierende Begegnung mit agilem Vorgehen war schon vor Jahren ein Vortrag von Boris Gloger in der Cogneon Akademie über SCRUM. Die dort hinterlegten Prinzipien erschienen mir sofort stimmig. Und das SCRUM-Teams eigentlich Lern-Teams sind, den Gedanken trage ich seitdem mit mir herum. Auch, dass „Agil“ viel mehr innere Haltung als Methode ist, und dass agiles Arbeiten stark auf Selbststeuerung setzt, immer mit dem Zutrauen, wenn die zugestimmt haben, werden sie es auch schaffen.

Kompakte Einstimmung in agiles Arbeiten

Um jetzt noch einmal richtig einzusteigen, habe ich mir gerade dieses aufschlussreiche Gespräch von Arne Schröder mit Boris Gloger angehört. Boris Gloger beschreibt hier sehr anschaulich, wie die agile Idee vor etwa 20 Jahren entstand und welche Gründe zu ganz anderen Projektarbeitsweisen führten. Interessant auch seine Herleitung von Selbstorganisation (ab Min 16:30) und der notwendigen Bestimmung einer Grenze in einem System, die über die das Time-Boxing hergestellt wird. Selbstorganisation braucht eine generelle Ausrichtung (Vision) und ein konkretes Ziel (was soll jetzt rauskommen, ab Minute 26:51). Boris Gloger erklärt das schön am Beispiel des Londoner Faltrad-Herstellers Brompton. Freiwilligkeit als Grundprinzip für agiles Arbeiten beschreibt Boris Gloger ab Minute 38. Ob man einer „Einladung“ folgt oder auch nicht, ist eine Aussage. Wer eine Einladung ausspricht, bestimmt auch die Rahmenbedingungen für das was dort geschehen soll (ab Min 41:55), wie bei einer Party. Der Gastgeber muss sich hier um die Bedingungen kümmern, die das gewünschte Ergebnis ermöglichen. Projekte sind definiert als einmalige, in der Regel neue, zeitliche begrenzte Arbeiten. Damit ist es sehr wahrscheinlich, dass auch nicht alle notwendigen Kompetenzen vorhanden sein werden, bis hin zu „es weiß gar keiner wie es geht“ (Min 48:08). Nur wird das kaum jemand zugeben. Das ist aber die Voraussetzung, um sich mit diesen Themen lernend zu beschäftigen. Boris Gloger wirft zum Schluss den systemischen Blick auf Organisationen: „Aktionen“ des Managements haben gar keinen Sinn. Erst das Loslassen, dass Weniger-Eingreifen ermöglicht das problemlösende selbstorganisierte Handeln (ab 01:01:00). Aber gerade das „Nichts-Machen“ ist für Führungskräfte so unglaublich schwer in Unternehmen.
Aus meiner Sicht eine sehr hörenswerte Einstimmung zu einer agilen Denkweise. Ich muss zugeben, ganz viel spricht mir da aus der Seele!

Und was ist nun agiles Lernen?

Wie kann man agiles Lernen in einem Satz Mitarbeitern und Führungskräften erklären? Diese Frage habe ich zum Abschluss dieser MOOCamp20-Woche gestellt (Minute 10 bis 22), und ganz viele lange Antworten erhalten. „Lernen am Arbeitsplatz, Lernen on Demand, Selbstlernen mit Unterstützung, an die Organisation angepasstes Lernen, Lern-Verantwortung und Lern-Steuerung beim Mitarbeiter, nicht nur individuelles Lernen, sondern Lernen einer ganzen Organisation, … „. In dem Rahmen bewegten sich die Antworten. Aber es war deutlich zu spüren, dass da ganz unterschiedliche Perspektiven und verschiedene persönliche Definitionen zu agilem Lernen vorhanden waren. Vieles von dem, würde wohl auch für andere Lernsettings zutreffen. Eine klare Definition für agiles Lernen ist offenbar gar nicht so einfach.

Die von Manuel Illi genannte Definition scheint mir noch die treffendste zu sein: „Traditionelles Lernen aka Vorratslernen startet im Lösungsraum, agiles Lernen im Problemraum: Was braucht der/die Lernende?“ Allerdings trifft das immer auch auf den riesigen Bereich des selbstgesteuerten Lernens zu, den 90% des 70/20/10-Modells.

Solange wir nicht genau bezeichnen können, was agiles Lernen ist, kann sich jeder seine eigene Definition machen. Das geschieht auch schon, wenn man sich die vielen angeblich „agilen Trainingsangebote“ ansieht.

Und vielleicht sollten nicht wir, klassich geprägten Learning Professionals, agiles Lernen definieren! Wir gehen ganz selbstverständlich von der Menschen-anleitenden-Fürsorge aus, die alle pädagogischen Berufe auszeichnet: Wir wissen, wie man sich etwas erarbeitet, wir helfen anderen den richtigen Weg zu finden, „wir holen Menschen ab“, wir nehmen Menschen an die Hand, … Möglicherweise sind agile Arbeitsweisen ja ein ganz anderer Weg, um erwachsene Menschen an und mit ihren Projekten wachsen zu lassen.

Braucht agiles Lernen dann einen LernCoach?

Das war der Titel der BarCamp-Session gleich nach der Live-Session zum Abschluß der MOOCamp20-Woche 5 zu agilem Lernen. Auch hier: Bis auf wenige Stimmen, die überwiegend klare Meinung, Lernende brauchen eine Unterstützung durch Learning Professionals. Beim agilen Lernen, zur Unterstützung der persönlichen Lernziele der Lernenden. Einen LernCoach für 80 Software-Entwickler hatten wir in der BarCamp-Session: Jürgen Latteyer berichtete, dass er auschließlich auf Nachfragen von Einzelnen aktiv wird. Also Unterstützung nur, wenn ausrücklich gewünscht. Insgesamt gehen die meisten von einem Coaching-Ansatz für jeden Einzelnen aus.

Dabei handelt es sich im Corporate Learning ja immer um Erwachsene, die eigentlich selber entscheiden können, ob und welche Unterstützung sie brauchen. Im oben erwähnten 70/20/10-Modell beweisen sie das mit 90 % selbstgesteuertem Lernen im alltäglichen Arbeitsablauf. Sie sind also alle „Meister“ im Etwas-sich-selbst-Erarbeiten. Wenn sie unsere Unterstützung normalerweise nicht brauchen, warum dann in agilen Arbeits-Situationen?

Aus meiner Sicht haben agile Arbeits-Prozesse (wie oben von Boris Gloger beschrieben), das Lernen schon integriert. Genau das macht agile Prozesse ja so erfolgreich. Tägliche Standup-Meetings, Teams im gleichen Raum, regelmäßige Retrospektiven – das sind nur die sichtbaren Zeichen für in agilen Framworks fest verankerte Lern-Settings. Wir Learning Professionals könnten auch sagen: Endlich hat das Lernen einen so hohen Stellenwert bekommen, dass es ein selbstverständlicher und integrierter Bestandteil eines Arbeitsprozesses geworden ist!

Unser Job müsste es also sein, agiles Arbeiten in unseren Unternehmen anzuregen, die Rahmenbedinungen dafür zu schaffen, und die Entscheider davon zu überzeugen, dass agiles Arbeiten (natürlich nur wo sinnvoll möglich) viel mehr zum Lernen beiträgt, als jedes Seminar oder Lern-Coaching von uns. Das wäre ein weiterer Baustein auf dem Weg zum lernenden Unternehmen. Das lernende Unternehmen mit aufzubauen, zerstört zwar unser altes L&D-Geschäftsmodell, sichert aber die Zukunft des Unternehmens mehr als alles, was wir bisher dafür getan haben. „Zukunfts-Sicherung“ der Organisation ist ja unser eigentlicher Job.

Mein Fazit

Im Corporate Learning streben wir ja die Wiederzusammenführung von Lernen und Arbeiten an: Arbeiten ist Lernen und Lernen ist Arbeiten. Wenn Arbeit mit agilen Prinzipien funktioniert, dann ist Lernen in dem Setting ein integrierter Teil davon. Da ist Lernen gar nicht zu trennen vom Arbeiten. Mit der Entwicklung des Projektes, entwickeln sich auch die Team-Mitglieder – ganz unvermeidlich. Wenn wir Einzelnen einen LernCoach zur Seite stellen, dann machen wir das Lernen wieder zu etwas von der Arbeit separierbarem. In SCRUM-Teams ist es doch der SCRUM-Master, der Hindernisse für das Team beseitigen helfen soll – oft wird es bei diesen Hindernissen auch um Nicht-Wissen gehen.

Außerdem: Wenn in agilen Teams jedem zugetraut wird, seine Arbeit im Team erfolgreich zu erledigen, und dem Team dabei die Freiheit der Ausführung gelassen wird, warum sollten wir die persönliche Entwicklung der Team-Mitglieder dann anders behandeln?

Wir Learning Professionals sollten uns für agiles Arbeiten an möglichst vielen Stellen im Unternehmen stark machen. Damit wird permanent mehr Lernen in der Organisation ausgelöst, als in allen unseren Lehr- und Lern-Settings.