KI-Weiterbildung in Zeiten des EU AI Acts

Die Verabschiedung des EU AI Act, des weltweit ersten Gesetzes zur Regulierung von KI, hat in Unternehmen eine breite Diskussion über Chancen, Risiken und die praktische Umsetzung ausgelöst. Der regulatorische Rahmen stellt neue Anforderungen an Transparenz, Sicherheit und Qualifizierung im Umgang mit KI, birgt aber auch Potenziale für eine strategische Weiterentwicklung und den Aufbau von Kompetenzen.

Die Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) in Unternehmen erfordert differenzierte Lern- und Befähigungsstrategien. Ellen Braun und Steffen Hillebrecht stellten beim CLCLunch&Learn ein Kompetenzstufenmodell vor, das Mitarbeitende entsprechend ihres Kenntnis- und Anwendungsniveaus einordnet.

Das Kompetenzstufenmodell (Anfänger, Fortgeschrittene, Expert:innen)

Das Kompetenzstufenmodell bietet einen strukturierten Rahmen für die Entwicklung von KI-Fähigkeiten in Unternehmen und Organisationen. Dadurch wird sichergestellt, dass deine Mitarbeitenden nicht nur gesetzliche Vorgaben erfüllen, sondern auch sicher, produktiv und verantwortungsvoll mit KI-Technologien umgehen können.

1. Kompetenzstufe: Anfänger

Zielgruppe: Mitarbeitende ohne Vorerfahrung mit KI

Lernziele:

  • Grundverständnis von Funktionsweise und Potenzialen von KI („AI Literacy“)
  • Sensibilisierung für Datenschutz, Datensicherheit und Transparenzpflicht
  • Einordnung einfacher Anwendungsfälle und Risikoeinschätzung

Relevanz: Diese Stufe ist für alle Mitarbeitenden obligatorisch, da sie grundlegende Rechtssicherheit und Nutzungskompetenz schafft.

2. Kompetenzstufe: Fortgeschrittene

Zielgruppe: Mitarbeitende mit regelmäßigem KI-Bezug in ihrer Arbeit

Lernziele:

  • Eigenständiger und sicherer Umgang mit KI-Tools
  • Fähigkeit zur Risikobewertung je nach Anwendungskontext
  • Umsetzung von Richtlinien und Dokumentationsvorgaben

Relevanz: Voraussetzung für fachliche Rollen in Bereichen wie HR, Marketing, IT oder Redaktion, wo KI aktiv eingesetzt wird.

3. Kompetenzstufe: Expert:innen

Zielgruppe: Fachverantwortliche, Multiplikator:innen, Governance-Rollen

Lernziele:

  • Entwicklung und Einführung von Leitlinien und Schulungsmaßnahmen
  • Überwachung der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben (z. B. Transparenz- und Nachweispflichten)
  • Beratung von Fachabteilungen und Geschäftsleitung bei KI-bezogenen Entscheidungen

Relevanz: Tragen die Verantwortung für die nachhaltige und rechtssichere Integration von KI im Unternehmen.

Dieses Kompetenzstufen-Modell dient als Grundlage für zielgerichtete Schulungskonzepte, die sowohl dem individuellen Bedarf als auch den regulatorischen Anforderungen des EU AI Act gerecht werden.

Use Cases & Anwendungsszenarien für KI in HR-Beispielen

Der Einsatz von KI im Unternehmenskontext bietet vielfältige Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung, Qualitätsverbesserung und Automatisierung. Um diesen Nutzen im Einklang mit dem EU AI Act zu realisieren, ist eine systematische Analyse und Bewertung konkreter Anwendungsszenarien notwendig.

Bedeutung von Use Cases

Use Cases dienen als praxisnahe Beispiele, um den Einsatz von KI in betrieblichen Prozessen zu erproben, zu bewerten und zu regulieren. Sie ermöglichen die Einschätzung des Risikos, der erforderlichen Kompetenzen sowie des Schulungsbedarfs und stellen damit eine wichtige Grundlage für die operative Umsetzung dar.

Typische Anwendungsszenarien

Recruiting & Bewerbungsprozesse
Einsatz von KI-gestützten Matching-Systemen, Chatbots für Erstinterviews sowie Sprachanalyse zur Bewerberauswahl.
Risikoklasse: Hoch (personenbezogene Daten, automatisierte Entscheidungsvorbereitung)

Transkription & Meeting-Dokumentation
Automatisierte Transkription von Interviews oder Besprechungen mit Sprecherzuordnung.
Risikoklasse: Gering bis Hoch (Vertraulichkeit, Personenbezug, Weiterverwendung)

Marketing & Kommunikation
Textgenerierung, Bildgestaltung und Zielgruppenanalyse mittels KI.
Risikoklasse: Minimal bis Gering, abhängig vom Inhalt und Datenbezug

HR-Analytics & Personalplanung
Prognosemodelle für Abwesenheiten oder Fluktuation basierend auf historischen Daten.
Risikoklasse: Hoch, insbesondere bei sensiblen Mitarbeiterdaten

Verlags- und Redaktionsarbeit
Unterstützung bei der Texterstellung, Layout-Vorschlägen und Datenanalyse in Redaktionen.
Risikoklasse: Variabel, je nach Datenbasis und Verwendungszweck

Einordnung in Schulung & Governance

Jeder Use Case muss im Kontext der vier Risikoklassen des EU AI Act betrachtet und in ein Kompetenzraster (Anfänger, Fortgeschrittene, Expert:innen) eingeordnet werden. Daraus lassen sich passgenaue Schulungsmaßnahmen und Governance-Richtlinien ableiten.

Diskussion über Chancen, Risiken und praktische Umsetzung des EU AI Act

Chancen

Förderung von Weiterbildung: Der EU AI Act (insbesondere Artikel 4) fordert die Qualifizierung von Mitarbeitenden im Umgang mit KI – dies stärkt die Lernkultur und unterstützt den Aufbau zukunftsrelevanter Kompetenzen.

Gestaltungsspielräume nutzen: Der Act versteht sich nicht nur als Verbotsregelung, sondern als Ermöglichungsrahmen. Unternehmen, die frühzeitig Standards und Schulungen etablieren, können Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sichern.

Strukturierte Auseinandersetzung: Der gesetzliche Rahmen zwingt Organisationen dazu, sich gezielt mit KI-Einsatz, Datenethik und Prozessverantwortung auseinanderzusetzen – dies kann zur Professionalisierung und Risikominimierung beitragen.

Risiken

Bürokratische Belastung: Die verpflichtende Dokumentation von KI-Nutzung (z. B. Tool, Zeitpunkt, Inhalt) wird als aufwändig und schwer skalierbar empfunden – insbesondere bei dynamisch genutzten Tools wie ChatGPT.

Überforderung durch Regulierung: Ohne begleitende Orientierung besteht die Gefahr, dass Mitarbeitende und Führungskräfte durch die Komplexität der Vorschriften verunsichert oder ausgebremst werden.

Fehlanreize durch Zertifikatslogik: Es wird kritisch angemerkt, dass sich ein Markt für formale Compliance-Schulungen entwickeln könnte, der am eigentlichen Ziel – dem reflektierten und kompetenten KI-Einsatz – vorbeiführt.

Praktische Umsetzung

Iteratives Vorgehen statt starrer Regelwerke: Aufgrund der sich schnell entwickelnden Technologielandschaft empfiehlt sich ein lernorientiertes, agiles Vorgehen anstelle fester Strategiepapiere.

Tool-gestützte Unterstützung: Der Einsatz von unterstützenden Systemen wie Chatbots, interaktiven Tools und standardisierten Dokumentationshilfen wird als hilfreich angesehen.

Einbindung relevanter Akteure: Frühzeitige Zusammenarbeit mit Betriebsräten, Datenschutzbeauftragten und Führungskräften ist entscheidend, um Akzeptanz zu schaffen und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten.

Begleitmaßnahmen

  • Stakeholder-Kommunikation: Frühzeitige Einbindung von Betriebsräten
  • Führungskräftebriefings: Vermittlung des strategischen Mehrwerts von AI Literacy
  • Pilotprojekte & Feedbackloops: Testen und Lernen mit echtem Use Case

Rolle der Betriebsräte

Betriebsräte sind wichtige Stakeholder bei der Einführung KI-gestützter Prozesse. Sie haben Mitbestimmungsrechte, insbesondere bei Fragen der Leistungs- und Verhaltenskontrolle sowie bei Schulungsmaßnahmen. Eine frühzeitige Einbindung hilft, potenzielle Konflikte zu vermeiden und gemeinsame Lösungen zu erarbeiten – beispielsweise in Form von freiwilligen Betriebsvereinbarungen. Dabei ist zu beachten, dass starre Regelwerke wenig zielführend sind; empfohlen wird ein iteratives Vorgehen mit kontinuierlichem Dialog.

Erfolgskriterien

  • Sichtbare Lernfortschritte (z.B. durch Grid-Einstufung)
  • Reduktion von Unsicherheiten im Umgang mit KI
  • Dokumentierte, nachvollziehbare KI-Nutzung
  • Positive Resonanz von Mitarbeitenden und Betriebsräten

Resümee

Ein differenzierter Schulungsansatz ist erforderlich, das sich an den realen Aufgaben und dem Risikoprofil der jeweiligen Funktionsbereiche orientiert. Dies umfasst:

  • ein Kompetenzstufenmodell (Anfänger, Fortgeschrittene, Expert:innen),
  • eine Matrix zur Verbindung von Risikoklassen und Lernbedarf,
  • und begleitende Tools wie KI-gestützte Lernassistenten und visuelle Entscheidungshilfen (z. B. Conceptboards).

Ziel ist es, die Belegschaft nicht nur formal zu schulen, sondern ein sicheres und reflektiertes Handeln im Umgang mit KI zu ermöglichen.

Wo kann ich mehr erfahren?

Weitere Informationen findet ihr auf dem Conceptboard von Ellen Braun und Steffen Hillebrecht.