Agiles Lerncoaching – (m)eine subjektorientierte Sichtweise #MOOCamp2020

Karlheinz Papes Frage und anschließende Diskussion der MooCamp Session „Braucht Agiles Lernen einen Agilen Lerncoach?“ regte mich zum Nachdenken und letztlich zum Verfassen dieses Blogartikels an.

Gerne möchte ich meine Gedanken und Haltung zu diesem Thema teilen und freue mich im Anschluss auf einen Austausch – und wie ihr zu dieser Frage steht.

Subjektorientierte Lerntheorien

Als Erwachsenenbildnerin bringe ich eine subjektorientierte Haltung mit, die davon ausgeht, dass Menschen, frei in ihren Handlungen und zur Reflexion in der Lage sind.

Gerne möchte ich mit euch zwei Lerntheorien aus den 90er Jahren teilen. Ich finde sie immer noch sehr spannend und gut passend zu unserer Diskussion, sodass ich sie in Bezug zu agilem Lerncoaching stellen möchte.

Im Sinne von Holzkamp (vgl. Holzkamp,1996) gehe ich davon aus, dass Lernen den Lernenden selbst obliegt und Lehrende keinen direkten Einfluss darauf haben, was und ob gelernt wird. Nur wenn Lernende eine Diskrepanzerfahrung machen / sie vor einem Problem stehen, und aus freiem Willen ihre Handlungsoptionen erweitern möchten / das Problem lösen möchten, ziehen sie eine sog. Lernschleife. Lernen und Entwicklung findet statt.

Ferner teile ich Meuelers Auffassung, dass „Lehrende“ und „Lernende“ eine reife Form der Beziehung pflegen sollten (vgl. Meueler, 1993). Unter einer reifen Form der Beziehung versteht er, dass sich Lehrende und Lernende auf Augenhöhe begegnen. „Lehrende“ begleiten in seinem Verständnis den Lernprozess, indem sie Lernenden, Hilfe zur Selbsthilfe geben und ihnen durch das Schaffen von Lernräumen, ermöglichen, selbstständig ihre Entwicklung zu reflektieren. Dazu zählt auch selbst zu entscheiden, was für wert erachtet wird, gelernt zu werden, sowie die Fähigkeiten, selbst die besten Wege ausfindig zu machen, die gesteckte Ziele zu erreichen (vgl. ebd.).

 

Mein Verständnis zu Agilem Coaching

Neben den Lerntheorien finde ich es als Teamgestalterin und agiler Teamcoach in diesem Kontext auch wichtig, auf das Verständnis von Coaching und agilem Coaching zu schauen.

  • Im klassischen „Coaching“ geht es für mich darum, dem Coachée zuzuhören und ergebnisoffen Fragen zu stellen – frei von einer Intension. Im Fokus steht die persönliche Entwicklung des Coachées in einem 1:1 Setting.
  • Im agilen Coaching hingegen, dreht es sich für mich um den organisationalen Auftrag eine agile Arbeits- und Lernkultur mit agilen Werten (z.B. Mut, Offenheit, Commitment, Einfachheit, Fokus, etc.), Prinzipien und Denkweisen zu fördern. Oftmals nehmen agile Coachs dabei mehrere Rollen ein und springen in Einzel- oder Team / Gruppensettings zwischen „klassischem“ Zuhören und Fragestellen, auch ins Trainieren (Vermitteln), Moderieren (Verbindung schaffen in Teams und größeren Gruppen) sowie Beraten (Lösungen vorgeben) (vgl. Hofert, 2018, 2019).

Unter agiles Coaching fallen für mich verschiedene „Unterformen“, wie z.B. das agile Teamcoaching oder agile Lerncoaching, etc.

Als agiler Teamcoach habe ich die Verbesserung der Zusammenarbeit eines Teams im Blick. Im Fokus steht die Entwicklung des gesamten Teams vor dem Hintergrund, der Förderung eines agilen Mindsets, agiler Werte und Prinzipien. Selbst im Einzelcoaching im Zuge eines Teamcoaching-Auftrages steht die Zusammenarbeit mit den Kollegen vor der individuellen Entwicklung des Cochées.

Da ein Scrum / Agile – Master Teil des Teams ist, sehe ich die Rolle des Coachens nicht in seiner Verantwortung, sondern würde an dieser Stelle immer eine objektive (zumindest Team-) externe Person hinzuziehen.

 

Mein Verständnis zu Agilem Lerncoaching

Doch ein Team ist mehr als die Summe seiner Mitglieder. Neben dem Lernen und der Entwicklung eines Teams, finde ich es aus subjektorientierter Sicht (und auch im Sinne des New Work-Gedankens), ebenfalls sehr wichtig, Lernen und Entwicklung jedes Einzelnen zu fördern bzw. durch das Schaffen von Lernräumen, es entsprechend zu ermöglichen.

Da das Lernen selbst bei den Lernenden liegt (vgl. Holzkamp), und Freiwilligkeit und Selbstorganisation wesentliche Bestandteile von Agilität sind , finde ich es wichtig, dass auch ein agiles Lernangebot, wie z.B. ein agiles Lerncoaching auf einer freiwilligen Basis beruht – bestmöglich nach einem Pull-Prinzip. Der Lernende sollte selbst entscheiden können, ob, wann und wofür er ein Lerncoaching in Anspruch nehmen möchte (vgl. Meueler).

Das Besondere an einem agilen Lerncoaching in meinem Verständnis ist, dass der individuelle Lernprozess an agile Arbeitsweisen angelehnt ist. Das heißt, dass sich die Lernenden, Lernziele setzen, die sie z.B. im Rahmen eines persönlichen Scrum-Zykluses erreichen – sie bestimmen im Sinne von Meueler eigenständig ihren Weg zum Ziel. Die Lernziele sollten entsprechend dem 70-20-10 Lernmodell hauptsächlich durch das selbstständige Lösen der Probleme im Arbeitsprozess erlangt werden (70 % – neben 20% durch Austausch mit Kollegen, Coaching, etc. & 10% durch formale Lernangebote), wodurch ich den Ansatz des Corporate Learnings ebenfalls unterstützt sehe. Hinzu kommt, dass agiles Lerncoaching den Lernenden ermöglicht, ihre eigene Entwicklung vor dem Hintergrund agiler Werte und Prinzipien gemeinsam mit ihrem Coach in einem 1:1 Setting zu reflektieren und zu vertiefen. Er sollte ihnen Hilfe zur Selbsthilfe anbieten –um auch zukünftige Problemstellungen selbst lösen zu können.

Das heißt unter agilem Lerncoaching verstehe ich eine subjektorientierte Lernprozessbegleitung eingebettet in den organisationalen Kontext, eine agile Arbeits- und Lernkultur zu fördern.

Natürlich lässt sich an dieser Stelle argumentieren, dass all dies auch ohne Coach möglich wäre. Hierzu fällt mir das Sprichwort aus meiner Wahlheimat Köln ein: „Jeder Jeck is anders“ – jeder Mensch ist anders. Und so lernt auch jeder Mensch anders. Manche entwickeln sich gerne alleine oder in der Zusammenarbeit mit einer Gruppe, einem Team oder Netzwerk weiter (vgl. dazu auch WOL, lernOS), andere tun sich leichter oder haben Freude daran, dies gemeinsam mit einem Coach an ihrer Seite zu tun. All dies ist auch immer wieder abhängig von der jeweiligen Situation, des zu lösenden Problems und dem jeweiligen Kontext des Lernenden, etc.

 

Mein Fazit

Für mich steht agiles Lerncoaching folglich nicht im Widerspruch oder losgelöst von Arbeiten und Lernen oder dem Erhalt einer Organisation. Ich es sehe es vielmehr als sinnvolle Ergänzung und Unterstützung. Es ermöglicht Lernenden sich

  1. auf individueller Ebene gezielt weiterzuentwickeln und
  2. agile Werte, Prinzipien und Denkweisen zu verstehen, zu festigen und diese wiederum wirksam ins Team bzw. in die Organisation einzubringen und zu leben.

Ich verstehe es als eine Möglichkeit, eine agile Arbeits – und Lernkultur schrittweise im Unternehmenskontext zu integrieren bzw. einen Unternehmenskulturwandel voranzutreiben.

Damit einher geht auch abschließend meine persönliche Definition von agilem Lernen, welche mehrere Ebenen umfasst:

Unter Agilem Lernen verstehe ich

  1. Lernen durch das Lösen einer individuellen Problemstellung ( = Subjektentwicklung), im Kontext agiler Werte, Prinzipien, Arbeits- und Denkweisen, die es
  2. wiederum ermöglichen, zu lernen, beweglicher (agiler) auf zukünftige Problemstellungen zu reagieren.

 

Danke

Am Ende meines Beitrages möchte ich mich auch nochmals herzlich bei dir, lieber Karlheinz Pape, bedanken. Deine kritischen Fragen haben mich zum Nachdenken und Reflektieren meiner eigenen Haltung gebracht und mich dazu bewegt meinen ersten Blogbeitrag zu verfassen. Vielen Dank dafür.

Über einen weiteren Austausch mit dir und allen anderen, die das Thema ebenfalls sehr spannend finden, freue ich mich sehr! Wie ist eure Meinung dazu? Zur leichteren Vernetzung lasse ich auch gerne einfach mal den Link zu meinem LinkedIn-Profil da: https://www.linkedin.com/in/angela-m%C3%BCller/

Viele Grüße, Angela

 

Quellen:

Holzkamp, K. (1996). Wider den Lehr-Lern-Kurzschluss. Interview zum Thema „Lernen“. In: Arnold, R. (Hrsg.). Lebendiges Lernen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S.21-33.

Meueler, E. (1993). Die Türen des Käfigs. Wege zum Subjekt in der Erwachsenenbildung. Stuttgart: Klett-Cotta.

Hofert, S (2018): Was ist agiler Coach? Über ein neues Berufsfeld und die Notwendigkeit, Haltung zu wahren https://karriereblog.svenja-hofert.de/2018/06/was-ist-ein-agiler-coach-ueber-ein-neues-berufsbild/

Hofert, S. (2019): Was macht ein agile Coach – und was braucht er dringend? https://www.youtube.com/watch?v=LHXG4w87PWs&feature=youtu.be