Diese Woche durfte ich als Moderator ein Fachgespräch mit Prof. Dr. Rolf Arnold und Prof. Dr. John Erpenbeck führen, in dem wir wesentliche Grundlagen für die Gestaltung und Umsetzung innovativer Lernsysteme erörtert haben. Im Projekt Next Education, dem Veränderungsprojekt der Deutsche Bahn AG – DB Training- , bilden die Ermöglichungsdidaktik von Rolf Arnold und die Kompetenzorientierung nach John Erpenbeck wesentliche konzeptionelle Fundamente.
Das Video dieses Gespräches soll am 2. Tag des MOOC Corporate Learning 2.0 grundlegende Diskussionen zur Gestaltung innovativer Lernsysteme anregen. Ich habe dieses Gespräch als besonders spannend empfunden, weil es dazu anregt, gewohnte Lernroutinen zu hinterfragen und über Wege des Lernens nachzudenken, die sich deutlich vom gewohnten „Bullimielernen“ und wissensorientierten Paukprüfungen unterscheiden. In diesem Blog liefere ich Ihnen deshalb einige Hintergrundinformationen, die Sie hoffentlich motivieren, sich die Aufzeichnung des Gespräches anzusehen, um danach mit uns zu darüber diskutieren.
Rolf Arnold ist Professor für Berufs- und Erwachsenenpädagogik an der TU Kaiserslautern und Wissenschaftlicher Direktor des „Distance and Independent Studies Center (DISC)“ an der TU Kaiserslautern sowie Sprecher des „Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz /VCRP)“. Seine Konzeptionen der Ermöglichungsdidaktik, des Emotionalen Konstruktivismus sowie der Systemischen Pädagogik prägen innovative Lernkonzeptionen in vielen Unternehmen und bei einer großen Zahl von staatlichen und privaten Bildungsanbietern.
John Erpenbeck hat den Lehrstuhl für Kompetenzmanagement der SIBE – School of Interantional Business and Entrepreneurship – an der Steinbeis Universität Berlin inne. Über die langjährige Leitung des Bereiches Theoretische Grundlagen im BMBF-Projekt Lernkultur Kompetenzentwicklung (ABWF/QUEM) sowie in seinen weiteren Forschungsarbeiten zum Kompetenzmanagement hat er seine hervorgehobene Reputation als Wissenschaftler in den Bereichen Kompetenzbilanzierung, -diagnostik und –entwicklung aufgebaut.
In unserem fünfzigminütigen Gespräch haben wir uns insbesondere zu folgenden Themenbereichen ausgetauscht:
- Warum können die klassischen Weiterbildungsseminare die Anforderungen der Unternehmen an das betriebliche Lernen nicht mehr erfüllen?
- Weshalb benötigen wir kompetenzorientierte Lernsysteme in den Unternehmen (und nicht nur dort)?
- Kann man Kompetenzen in Seminaren lehren?
- Kann man Kompetenzen im Arbeitsprozess bewerten?
- Kann man die Kompetenzentwicklung in Unternehmen managen?
- Welche Konsequenzen ergeben sich aus den innovativen Lernkonzeptionen für die Rolle der heutigen Trainer und Lernkonzept-Entwickler?
- Wie sieht das Corporate Learning in zehn Jahren aus?
Zur Einstimmung auf das Gespräch empfehle ich Ihnen ein kleines Buch mit dem Titel „Wissen ist keine Kompetenz“[1], das einen fast einjährigen Briefwechsel zwischen Rolf Arnold und John Erpenbeck enthält. Ich kann in diesem Blog nicht auf alle Thesen und Begründungen in diesem Werk eingehen. Folgende Aspekte fand ich, insbesondere auch in Hinblick auf unsere kommende Diskussion, besonders spannend und anregend.
Gleich in seinem ersten Brief arbeitet Rolf Arnold heraus, welche vielfältigen Perspektiven uns durch ein modernes Kompetenzdenken eröffnet werden. Gleichzeitig wendet er sich gegen die weit verbreitete Illusion der Wissens“vermittlung“, die de facto nicht möglich ist, auch wenn die deutsche Paukschule nunmehr schon 150 Jahre besteht. Erpenbeck glaubt, dass die meisten Pädagogen trotzdem daran festhalten, weil diese „Wissensvermittlung“ besser zu planen und kontrollieren ist.
Arnold verdeutlicht weiter mit sehr klaren Worten, dass die Schulleistungsforscher im Kontext von PISA (Klieme 2007) 15 Jahre verspätet, ohne Bezugnahme auf die vorhergehenden Forschungen zur beruflichen Handlungskompetenz, starteten. Generationen von Schülern werden deshalb auf Basis eines Kompetenzbegriffs entwickelt, der sich auf die kognitive Leistungsfähigkeit beschränkt und nichts, aber auch gar nichts, mit Handlungsfähigkeit zu tun hat.
Arnold bewertet die Überschätzung des „Vermittelns“ von Wissen, also der Übertragung des Wissens von einem Gehirn in ein anderes, als ein lernkulturelle Gewohnheit mit einer oft skandalös geringen Nachhaltigkeit. John Erpenbeck fordert, dass Pädagogen berücksichtigen könnten und müssten, wie Menschen wirklich lernen. Er greift dabei den klassischen Satz von Gerald Hüther auf „Ohne Gefühl geht gar nichts“, der für ihn das Grundaxiom jeder Kompetenzentwicklung ist. Diesen Aspekt betont auch Rolf Arnold, in dem er verdeutlicht, dass Wissen und Qualifikation ohne das Erleben in erfolgreichen Anwendungen, die emotionale Erfahrung der Selbstwirksamkeit fehlt. Deshalb können Kompetenzen lediglich reifen, aber nicht erzwungen werden. Die Didaktik muss sich deshalb entsprechend weiter entwickeln. Wir benötigen deshalb eine Architektur der Erlebnisorientierung, auch im Bereich des Wissensaufbaus und der Qualifizierung, die deutlich über eine bloß kognitive Aneignung hinaus geht. Erpenbeck erweitert diesen Aspekt um die Werte, also die Ergebnisse von Erfahrungsbewertungen, die fehlende Kenntnisse „überbrücken“ oder ersetzen können und damit die Lücke zwischen Kenntnissen und Handeln schließen.
Rolf Arnold fordert in seinem 5. Brief daraufhin ein wirksame Kompetenzdidaktik, die günstige Gelegenheiten für reflexives Lernen schaffen. Diese benötigt Zieltransparenz (Kompetenzprofile) und die Verantwortungsübernahme durch die Lernenden („Ownership“). Lehren wird deshalb zu einer Inszenierung von Erfahrungsräumen, in denen den Lernenden Erklärungs- Vertiefungs- und Diskursmöglichkeiten eröffnet werden, die sie zu ihren Bedingungen nutzen können.
Im 6. Brief beschäftigt sich John Erpenbeck vor allem mit dem informellen Lernen. Er betont, dass der beste Prädiktor für zukünftiges Handeln vergangenes Handeln ist. Die Didaktik der Zukunft wird eine Ermöglichungsdidaktik sein. Dabei geht es darum, Kompetenzen im direkten Praxisbezug durch Coaching, Mentoring, Training und weitere emotionsaktivierende, motivationsschaffende Erkenntnis- und Erfahrungsformen aufzubauen.
Das Fazit im letzten Brief von Rolf Arnold ist, dass wir vielfältige Lernräume („Frames“) gestalten müssen, in denen aktive Suchbewegungen, selbstgesteuerte Aneignung sowie probehandelnde Problemlösung geübt, verändert und routiniert werden können. Dabei ist die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns ein zentrales Element sowohl in der Erwerbs- und Bildungsphase als auch in Tätigkeitsfeldern von Akademikern. Kompetenzreifung setzt eine Infrastruktur voraus. „Nicht was in eine Person eingegeben wird (Input), sondern was beim Handeln letztlich herauskommt (Outcome) zählt.
Ich bin sicher, dass wir in unserem MOOC die relevanten Fragen, die vor (!) der Entwicklung von Lernkonzeptionen zu beantworten sind, mit einer geschärften, vielleicht auch neuen, Sichtweise diskutieren werden. Ich freue mich auf unsere Diskussion.
[1] Arnold, R.; Erpenbeck, J. 2014: Wissen ist keine Kompetenz. Dialoge zur Kompetenzreifung, in: Arnold, R. (Hrg.) Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung, Hohengehren