Journalisten als Vorbild für Learning Professionals
Journalisten haben die Aufgabe, Informationen für ihre Zielgruppen aufzubereiten. Dieser Ansatz kann auch für Learning Professionals interessant sein. Doch wie gehen Journalisten dabei vor und was können wir von ihnen lernen?
Der Reporter:innen Workshop 2023
Ich habe zwei Tage lang am Reporter:innen Workshop in Hamburg am 15. und 16. September 2023 teilgenommen. Dort haben 300 Journalisten in 41 einstündigen Workshops ihre Erfahrungen geteilt. Ich konnte an sechs Workshops teilnehmen, in denen Journalisten von großen und kleinen Print-, Radio- und Fernsehredaktionen vertreten waren. Im Spiegel-Gebäude in Hamburg haben Journalisten-Profis Ideen und Erfahrungen ihrer Kolleginnen und Kollegen ausgetauscht. Das Reporter:innen Forum wird vom gemeinnützigen Verein Reporter:Innen Forum, e.V. veranstaltet, und die Mitschnitte der Workshops werden dauerhaft als Lernvideos in der Reporterfabrik öffentlich bereitgestellt.
Redaktionen legen die Gestaltungsregeln fest
Im Workshop „News-Prompting – Wie wir der KI beibrachten, Nachrichten zu schreiben und fast verzweifelt sind“ berichtete Simon Uhl über die Regeln beim Spiegel. Jede SPIEGEL-Nachricht erhält beispielsweise eine Dachzeile, einen Titel und einen Teasertext, bevor der eigentliche Nachrichtentext beginnt. Auch für den Beitragstext gibt es Regeln, wie zum Beispiel die Nennung der Quelle im ersten Absatz. Tatsächlich erfordert jede Nachricht mindestens eine weitere übereinstimmende Quelle, um sicherzustellen, dass die Meldung korrekt ist. (Der Spiegel setzt derzeit noch keine KI zur Nachrichtenerstellung ein.)
Auswertung der Reaktionen auf Online-Beiträge
Nur präzise beschreibende Titel erzeugen online Aufmerksamkeit. Kurz nach der Veröffentlichung werden die Klicks auf den Artikel ausgewertet. Wenn die Klickzahlen zu niedrig erscheinen, wird die Überschrift überarbeitet. Beim Spiegel wird außerdem registriert, nach welchem Artikel neue Abonnements abgeschlossen wurden. Offensichtlich haben diese Artikel die Leser besonders überzeugt.
Journalistische Beiträge sollen die Leser überzeugen
Die aufbereiteten Informationen sollen das Wissen der Leser aufbauen, die daher auch als Lernende betrachtet werden können. Diese Lernenden entscheiden selbstständig, welche Beiträge sie aus welcher Quelle aufnehmen möchten. Daher bemühen sich Journalisten um eine verständliche Aufbereitung, passende Titel und interessante Teaser-Zeilen, um die Aufmerksamkeit der Lernenden zu gewinnen und möglichst langfristig zu halten. Jeder Leser kann jederzeit seine Nachrichtenquelle wechseln, daher muss jeder einzelne Beitrag den Leser davon überzeugen, dass er hier richtig ist oder ihn sogar auf den nächsten Beitrag neugierig machen. Natürlich spielt dabei auch das wirtschaftliche Interesse eine Rolle. Aber träumen wir Learning Professionals nicht auch davon, dass Lernende mit Freude bis zum Ende dabei sind und schon sehnsüchtig auf das nächste Modul warten? Wie selten erreichen wir das? Wenn Journalisten das schaffen, sollten wir genauer hinschauen und von ihnen lernen.
Recherche, Produktion, Bereitstellung auf verschiedenen Kanälen und Vermarktung
All diese Aufgaben gehören zum journalistischen Alltag. Sie sind auch notwendig, um Lerninhalte zu den Lernenden zu bringen. In diesem Punkt unterscheiden sich unsere Aufgaben nicht grundlegend. Auch wir beginnen mit der Recherche, wenn es um ein neues Thema geht. Wir produzieren E-Learning, Podcasts oder Trainings und nutzen oft nur einen Kanal zur Verbreitung. Das Marketing dafür wird jedoch oft vernachlässigt. Je mehr wir unsere Zielgruppen als selbstgesteuerte Lernende betrachten, desto mehr sollten wir uns am bewährten Vorgehen der Journalisten orientieren. Wenn Lernende frei entscheiden können, sollten unsere Angebote die attraktivsten sein. Im Wettbewerb mit anderen Content-Anbietern müssen wir uns behaupten, und das sollte die Qualität unserer Inhalte fördern.
Inhalte, die Aufmerksamkeit erregen
Wie viele Leser oder Zuhörer bleiben bis zum Ende dabei? Wer reagiert auf den Beitrag? Gelingt es, die Inhalte verständlich und spannend darzustellen? Journalisten haben eine Reihe von Regeln entwickelt, um gut lesbare und leicht verständliche Texte zu erstellen. Ein maßgebliches Vorbild für das Schreiben ist der 2022 verstorbene Wolf Schneider, der 50 Regeln für gute Texte aufgestellt hat. Wenn man eine KI mit diesen Regeln füttert und sie auffordert, Texte entsprechend zu überprüfen und Verbesserungsvorschläge zu machen, könnte das helfen, gute Texte zu erstellen. Die Reporterfabrik hat beim Reporter:innen Forum 2023 eine Beta-Version dieser KI an interessierte Journalisten verteilt. Die Wolf-Schneider-KI befindet sich derzeit in einem großen Feldtest und kann dann auch von Menschen genutzt werden, die das Schreiben nicht an einer Journalistenschule gelernt haben. Vielleicht bietet die WSKI auch uns eine Chance auf gute Texte! Der Deutschlandfunk hat Cordt Schnibben, den Leiter der Reporterfabrik, zur WSKI interviewt (5:55 Min).
Das Teilen von Wissen ist journalistische Arbeit
Wir ermutigen immer zum Teilen von Wissen und Erfahrungen. Wer etwas erklären kann, hat es wirklich verstanden – das ist eines unserer Argumente für Lernende. Gleichzeitig bildet das öffentliche Teilen von Wissen die Grundlage fürs Networking. Das Teilen von Wissen ist effektiver, wenn die Beiträge gut verständlich sind, und der Netzwerkeffekt wird dadurch größer. Wer wäre nicht stolz auf Blog- oder LinkedIn-Posts, die gut ankommen? Auch dafür scheint es mir hilfreich zu sein, von Journalisten zu lernen.
Corporate Learning Community und Reporterfabrik?
Vielleicht gelingt uns ja eine befruchtende Verknüpfung mit der Journalisten Community! Was meinst Du:
- Könnte das hilfreich sein für Dich?
- Erscheinen Dir journalistische Standards für die Lern-Content-Erstellung interessant?
- Würdest Du gern mehr darüber erfahren?
Mein erster Text mit Hilfe der WSKI
Dies ist mein erster Text, bei dem ich Ratschläge der Wolf-Schneider-KI zur Textverbesserung dankbar angenommen habe. Auch die Überschrift war einer von 9 Vorschlägen der WSKI dafür. Und am Ende hat mir die Analyse-Funktion noch folgende Rückmeldung zu meinem Ursprungstext gegeben:
Der Text ist insgesamt klar und verständlich geschrieben, aber es gibt Verbesserungspotenzial in Bezug auf Einfachheit, Prägnanz und Lesefluss.
- Verwenden Sie einfachere und prägnantere Formulierungen, um den Text leichter lesbar zu machen.
- Vermeiden Sie lange und verschachtelte Sätze, um den Lesefluss zu verbessern.
- Achten Sie auf eine einheitliche Schreibqualität und korrekte Grammatik und Rechtschreibung.
Irgendwie kann ich mir die WSKI gut als persönlichen Schreibtrainer vorstellen. Ein großes Dankeschön an das Ersteller-Team um Cordt Schnibben und Benedikt Falkenstein in der Reporterfabrik!