Gestern ging das 5. Corporate Learning Camp – CLC15 – mit dem Motto „Lernen gestalten – Talente entwickeln“ – zu Ende. Diese beiden Tage waren mit 50 Sessions und unzähligen spannenden Gesprächen extrem dicht gefüllt, so dass ich mit einer Fülle von wertvollen Eindrücken, Impulsen und Erfahrungen nach Hause fuhr. Ich habe den Eindruck, dass sich dieses Veranstaltungsformat immer stärker durchsetzt, weil es genau am Bedarf der Verantwortlichen für Corporate Learning ansetzt. Meine Einschätzung der üblichen PPT-Folienschlachten, an denen ich mich auch immer wieder beteilige, wird deshalb zunehmend kritisch.
Von den fast 200 Teilgebern – nicht Teilnehmern – kamen über die Hälfte aus Unternehmen, was den Gedankenaustausch enorm befruchtete. Es ist schon beeindruckend zu sehen, wie Karlheinz Pape die Veranstaltung mit allen Teilgebern in seiner ruhigen und freundlichen Art ohne jede Agenda oder Themenvorgabe eröffnete und dann um Themenvorschläge bat, über die spontan abgestimmt wurde. Nach dreißig Minuten stand die Agenda mit 29 Themen, so dass jeder seinen Wissens- und Diskussionsbedarf decken konnte.
So moderierten beispielsweise Thomas Jenewein von SAP eine Session zu Erfahrungen mit dem On-job-Lernen, Carlo-Matthias Enk von der Deutschen Bahn diskutierte die Entwicklung vom Wissensvermittler zum Lernbegleiter oder Christian Böhler stellte das aktuelle und zukünftige Lernsystem von RWE vor. Hinzu kamen eine Vielzahl weiterer Themen, vom Virtual 3DClassroom bis zur Integration von Flüchtlingen, das Charlotte Venema moderierte.
Die Verbindung zu dem parallel laufenden Corporate Learning 2.0 MOOC mit zwischenzeitlich 1422 Teilnehmern und –gebern erfolgte durch die live gestaltete Abschlussdiskussion der 3. Woche mit der ÖAMTC zum Thema „Selbstgesteuertes Lernen in der Führungskräfte-Entwicklung“, die Karlheinz Pape mit Herwig Kummer und MOOC-Teilnehmern führte. In 45 Minuten wurden hier eine Fülle von wertvollen Erfahrungen ausgetauscht, gleichzeitig wurden aber auch viele offen Fragen diskutiert.
Ich habe zwei Sessions angeboten, in denen wir sehr spannende Diskussionen erlebten. Die Frage, wie sich das Corporate Learning in den kommenden Jahren entwickeln wird, leitete ich mit dem für mich erschreckenden Befragungsergebnis aus der ersten MOOC-Woche ein. Danach erfahren etwa 90 % der Unternehmen einen radikalen Wandel der Strukturen und Prozesse, gleichzeitig ändert sich in 90 % im Bereich der Personalentwicklung nahezu nichts! Hinzu kommt, dass sich nur 10 % der heutigen Personalentwickler für zukünftige Lernanforderungen kompetent fühlen.
In der Diskussion wurde mehrfach betont, das die Geschäftsbereiche in vielen Unternehmen bereits damit begonnen haben, mit zukunftsweisenden Lernformen die Personalentwicklung zu überholen. Impulse für innovative Lernformen kämen zudem verstärkt aus Unternehmensbereichen, z.B. dem Kompetenzmanagement, die direkt an der Unternehmensleitung angehängt sind. Der Personalentwicklungsbereich sollte sich nicht dagegen stemmen, sondern eine moderierende und koordinierende Rolle übernehmen.
Vor allem im Mittelstand wären die Personalentwicklungen aber quantitativ und qualitativ den aktuellen Herausforderungen im Lernen nicht gewachsen. Bemängelt wurde auch, dass der direkte Draht in die Fachabteilungen häufig fehlt.
Es ist ein radikales Umdenken in der betrieblichen Bildung erforderlich. Zukünftig müssen die Personalentwickler mit Fragen, wie „Welchen Anteil hat die Personalentwicklung an unserem Umsatz?“, rechnen. Diese Veränderung erfordert sowohl interne als auch externe Unterstützung.
Eine zentrale Bedeutung spielen die Führungskräfte, die sich als Entwicklungspartner ihrer Mitarbeiter immer stärker in die selbstorganisierten Kompetenzentwicklungsprozesse in ihrem Verantwortungsbereich einbringen. Deshalb bedingt die Veränderung des Lernsystems immer auch eine Neugestaltung des Führungssystems. Auch der Betriebsrat spielt eine wichtige Rolle, die durchaus auch antreibenden Charakter haben kann, wie die Teilgeber berichteten.
Eine grundlegende Veränderung der Lernkultur, hin zu Selbstorganisation, ist erforderlich. Dabei ist ein Entwicklungsweg notwendig, der die bisherigen Strukturen mit einbezieht und alle Mitarbeiter auf diesem Weg mitnimmt.
Zum Schluss diskutierten wir die Frage, wie das Corporate Learning in 10 bis 15 Jahren aussieht. Wir waren uns darüber einig, dass die Mitarbeiter erheblich mehr Freiräume für ihr individuelles Lernen erhalten, das sie primär selbstorganisiert mit Hilfe der technologischen Möglichkeiten (Humanoide Computer als Lernpartner) gestalten. Die Verantwortung für das Corporate Learning wird immer mehr dezentralisiert. Die Personalentwicklung wird zum internen Dienstleister, der den Rahmen für das Lernen gestaltet und die Instrumente dafür bereit stellt. Trainer werden sich zu Lerncoaches wandeln.
Nimmt die Personalentwicklung diese Herausforderungen nicht schon heute an, wird sie überflüssig, weil die heutigen, internen Kunden diese Aufgaben selbst übernehmen. Deshalb haben wir am 2. Tag diesen Aspekt unter dem provozierenden Titel „Das Ende der Personalentwicklung“ aufgegriffen. Am Anfang unseres Austausches stand das Ergebnis einer Studie aus dem aktuellen Harvard Business Manager, nach dem nahezu alle CEO weltweit den selbständigen Einsatz von Mitarbeitern, die bereit sind, ihr Bestes zu geben, als die Grundlage für den unternehmerischen Erfolg sehen. Deshalb wird Personal als die größte Herausforderung betrachtet. Tatsächlich ist das Personalwesen aber nur die acht- oder neuntwichtigste Konzernfunktion! Ein kaum nachvollziehbarer Widerspruch.
Obwohl wir uns in der Session weitgehend einig waren, dass die Personalentwicklung in die Strategieentwicklung der Unternehmung eingebunden werden muss, scheint dies in der Praxis eine Wunschvorstellung zu sein. Die heutige Personalentwicklung wird häufig eher als Personalverwaltung für Hotel- und Trainerbuchungen gesehen. Auch wird ihr im Regelfall nicht zugetraut, die notwendigen Änderungen im Lernbereich durchzusetzen.
Es wurde bemängelt, dass Personalentwickler nicht die gleiche Sprache sprechen würden, wie die Entscheider in den Fachbereichen. Teilweise fehlt die Akzeptanz, so dass die Gespräche nicht auf „Augenhöhe“ erfolgen können. Kritisch diskutierten wir auch die Entwicklungswege der Personalentwickler selbst, die im Regelfall keine Erfahrung aus den Fachbereichen mitbringen. Deshalb könnte auch die Zusammensetzung der heutigen Personalentwicklungen ein Grund dafür sein.
Eine große Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Personalentwicklung wurde in der Diskussion deutlich. Deshalb werden die kommenden Veränderungen eher als Bedrohung denn als Chance empfunden. Es muss vermutlich in der Personalentwicklung eine radikale Neuorientierung und –strukturierung, verbunden mit dem Aufbau von bedarfsgerechten Kompetenz, erfolgen.