Badges für informelles Lernen? Ja, ABER…..

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Das Kernteam der CLC arbeitet daran, Badges für Engagement in der Corporate Learning Community zu vergeben. Wir sind uns einig, dass Badges ein gutes Instrument sind, um einen Lernprozess zu dokumentieren, der nicht Teil eines Ausbildungsganges ist. (Wir reden hier von informellen oder nicht formalen Lernprozessen. Die Unterscheidung ist ziemlich künstlich, aber Details und Definietionen dazu gibts hier: http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2010_bibb_gutschow118_2010.pdf).

Wir beginnen beim CLC19KO mit einem Badge für die Teilnahme am Camp.

Das ist erst mal ein Start. Wir wissen noch nicht, ob wir Badges entwickeln werden, die weitere Kriterien für weitergehendes Engagement in der Community erfassen. Und ich glaube, es gibt sehr unterschiedliche Erwartungen innerhalb des Kernteams, welches Potenzial Badges und E-Portfolios haben, um für mehr Transparenz von vorhandenen Kompetenzen zu sorgen. Als Ziel wird oft genannt, informell und non-formal erworbene Kompetenzen den formal erworbenen Kompetenzen gleichzustellen. Das Ziel ist also gleiche Sichtbarkeit und gleiche Wertigkeit.

Ich bin da eher skeptisch, ob dieses Ziel erreichbar oder auch nur wünschenswert ist. Aber wir werden sehen. Wir sollten das diskutieren. Es geht um folgende Fragen:

  1. Soll die CLC Badges vergeben?
  2. Wenn ja, welche Kriterien sollten erfüllt sein, bevor jemand einen Badge erhält?
  3. Welche Bedeutung werden diese Badges und E-Portfolios innerhalb der Community und im Berufsleben haben?

Hierzu ein paar Überlegungen:

Formale – oder, genauer formuliert, in formalen Lernprozessen erworbene – Kompetenzen haben große Vorteile:

  • Sie sind durch Urkunden nachweisbar.
  • Sie sind deshalb eindeutig einer bestimmten Person zuzuordnen.
  • Der gesamte Lernprozess, Inhalte und Strukturen sind dokumentiert und nachvollziehbar.
  • Prüfungen garantieren, dass ein bestimmtes Niveau erreicht wurde.
  • Sie sind standardisiert. Deshalb kann man die Absolventen untereinander vergleichen. Sie vermitteln (hoffentlich) breite Grundlagen in einem Fachgebiet.
  • Sie werden von Institutionen vergeben, die auf Grund einer langen Tradition und einer meist staatlichen Kontrolle die nötige Kompetenz dafür haben (sollten).
  • Sie werden allgemein anerkannt.

Es gibt auch ein paar Nachteile

  • Die Inhalte orientieren sich an der Vergangenheit. Im Lehrplan können nur Dinge stehen, die jemand schon weiss.
  • Sie finden überwiegend abseits von der beruflichen Praxis statt. (in diesem Punkt gibt es große Unterschiede, aber die Mehrheit wird in akademischen Ausbildungsgängen ausgebildet, die nur wenig praktische Erfahrungen einbeziehen.)
  • Formale Lernergebnisse garantieren keinen Erfolg in der Praxis. Sie sind nur die Eintrittskarte.

Informell erworbene Kompetenzen stammen dagegen aus Lernprozessen, die außerhalb formaler Lernstrukturen in der alltäglichen Berufspraxis und im Leben erworben werden. Auf sie treffen alle die oben genannten Kriterien nicht zu. Aber sie sind nicht weniger wichtig als formale Kompetenzen. Nehmen wir die Digitalisierung als Beispiel. Alle Versuche, aus den neuen technischen Möglichkeiten die ersten Geschäftsmodelle zu entwickeln, können nur durch nicht-formale Lernprozessen passiert sein. Das war Neuland. Niemand hatte Digitalisierung auf der Uni oder in der beruflichen Ausbildung gelernt, als das ganze anfing. Was sich bewährt hat, wird später in formale Ausbildungsgänge integriert. Informelle Lernprozesse sind also nicht etwas, was „auch noch passiert“.

  • Ohne informelle Kompetenzen, auch Berufspraxis und Lebenserfahrung genannt, funktioniert in der Wirtschaft nichts oder sehr, sehr wenig. Das bringt die Faustformel 70-20-10 ( siehe: https://www.haufe-akademie.de/blog/themen/e-learning/das-702010-modell-lernen-neu-entdecken/ oder https://en.wikipedia.org/wiki/70/20/10_Model_(Learning_and_Development) auf den Punkt. Formale Kompetenzen sind die Eintrittskarte ins Berufsleben, aber das Können, das wir uns danach informell erarbeiten, ist weit überwiegend (geschätzte 70 %) für beruflichen Erfolg verantwortlich.
  • Informelle Kompetenzen erkennt man an den Ergebnissen.
  • Sie lösen konkrete Probleme und passen sich ständig an die tatsächlichen Herausforderungen an.
  • Durch informelle Kompetenzen und ihre ständige Entwicklung entsteht Neues.
  • Sie sind individuell und divers, nicht standardisiert. Menschen ziehen aus den vergleichbaren individuellen Erfahrungen ganz unterschiedliche Schlüsse. Jeder Lernprozess ist anders. Das gilt zwar auch für Lernprozesse in formalen Strukturen, aber dort gibt es gleiche Rahmenbedingungen und gleiche Inhalte.
  • Sie sind individuell, aber nicht eindeutig einem Individuum zuzuordnen. Konkrete Ergebnisse sind fast immer das Ergebnis der Arbeit mehrerer Menschen. Die Beiträge sind nicht so einfach isolierbar. Oft kommen Ergebnisse nur zu Stande, weil Menschen mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen zusammenarbeiten. Ursache und Wirkung sind selten eindeutig.
  • Wenn zwei Menschen eine gleiche praktische Aufgabe erfolgreich lösen (z.B. ein Team leiten, eine Session auf dem CLC erfolgreich moderieren und dokumentieren), läßt sich daraus nicht schließen, dass sie dabei die gleichen Methoden angewandt haben. Sie haben Kompetenzen bewiesen, aber es müssen nicht dieselben sein.
  • Die Entstehung informeller Kompetenzen ist schwer vorhersagbar und nicht planbar. Praktisch jede Erfahrung kann relevant sein. Der Zufall und das konkrete Umfeld mit seinen Impulsen spielen eine große Rolle. Typischerweise werden Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen neu miteinander verknüpft.
  • Es gibt keine Institutionen, die individuelle Kompetenzen mit der gleichen Validität feststellen könnten, wie das in formalen Bildungsgängen passiert. Dazu ist eine gewissen Nähe zu den Prozessen und Ergebnissen erforderlich, die als Nachweis dienen. Diese Kompetenzen entstehen überall, sogar in klassischen Bildungsinstitutionen.
  • Die Anerkennung hängt damit von der Glaubwürdigkeit des Ausstellers eines Badges und der Verlässlichkeit des angewandten Verfahrens ab. Weder bei den Ausstellern noch bei den Verfahren gibt es Standards. Badges sind daher nur in einem bestimmten Umfeld und von bestimmten Personengruppen bewertbar. Ein Badge ist kaum mit einem anderen Badge vergleichbar.

Um zum Beispiel eines Badges der Corporate Learning Community zurückzukommen: Ein solcher Badge hat, das erwarten wir wenigstens, eine Bedeutung innerhalb der Community. Auch Arbeitgeber, die die CLC kennen, können einen oder mehrere Badges in ihrer Bedeutung bei bestimmten Entscheidungen einordnen. Es gibt aber unzählige Fachcommunities und noch mehr Kompetenzen, Kriterien, Themen und mögliche Aussteller von Badges (z.B. HFDcert.de, eine geförderte Initiative des Hochschulforums Digitalisierung, die Peer Reviews verwenden). Für alle gilt das gleiche: Insider und Fachleute wissen, was der Badge wert ist – oder auch nicht. Darüber hinaus gibt es keinen verläßlichen Standard. Nach über 20 Jahren Diskussion ist auch keiner in Sicht.

Informelle und formale Kompetenzen ergänzen sich, aber sie unterscheiden sich grundlegend voneinander. Formale Kompetenzen sind standardisiert, strukturiert, planbar und validierbar. Sie gehören in die Domäne Ordnung. Informelle Kompetenzen sind individuell, zufällig, innovativ, unstrukturiert, divers und nur bedingt validierbar. Sie gehören in die Domäne Wildwuchs. Deshalb lassen sie sich nur widerstrebend formalisieren. Wir brauchen sie, und zwar genau so, wie sie sind. Wenn man versucht, informelle Kompetenzen mit der gleichen Validität wie formale Abschlüsse anzuerkennen, entsteht ein monströser bürokratischer Aufwand.

Es gibt nur eine Möglichkeit, das Dilemma zu umgehen. Das ist die Anerkennung und Anrechnung informell erworbener Kompetenzen im Rahmen formaler Bildungsgänge. Die Diskussion und Papiere der üblichen Verdächtigen wie BBIB (Überblick: http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/2010_bibb_gutschow118_2010.pdf,) BMBF, Bertelsmannstiftung, OECD etc. zur Anerkennung informell erworbener Kompetenzen dreht sich ganz überwiegend um die Vergleichbarkeit mit Kompetenzen, die in formalen Bildungsgängen vermittelt werden. Es geht nicht um das viel größere Feld von Kompetenzen, die in formalen Bildungsgängen gar nicht vermittelt werden (können). Aber auch diese Formalisierung von informellem Lernen kommt in Deutschland nur langsam voran und hat begrenzte praktische Bedeutung. Aber auf diesem Weg kann man, durch die abschließende Prüfung, die informell erworbenen Kompetenzen zwangsformalisieren. Dadurch bekommt man aber nicht das unendliche Feld informeller und non-formaler Kompetenzen in den Griff, sondern verhindert unnötiges Doppellernen. Der interessantere Teil sind die Kompetenzen, die nicht in die Raster bestehender Bildungsgänge passen und die passieren, wenn die formale Bildung abgeschlossen ist.

Aus meiner Sicht liegt die Lösung nicht darin, etwas zu formalisieren, was von Natur aus nicht formal ist. Die Lösung liegt darin, die formale Bildung und das informelle Lernen in der Praxis so miteinander zu verbinden, das immer beides stattfindet. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Badges der CLC können dokumentieren, dass sich jemand erfolgreich in einem komplexen Netzwerk engagiert. Wer das hier kann, kann es vermutlich auch im einem unternehmensinternem Netzwerk. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Also werden wir es ausprobieren.

Wir würden gerne eure Meinung dazu hören.