Der 2. Tag im MOOC: Wissen ist keine Kompetenz

Der zweite MOOC-Tag ging fulminant weiter. Wir haben bereits über 300 Forenbeiträge gezählt, hinzu kommen fast 100 Reflexionen. Vielen Dank für Ihre engagierte Diskussion.

Ich verstehe die Frage eines Teilnehmers sehr gut, wie er denn während der Arbeit mit dieser Flut umgehen soll. Ich kann hierzu keine allgemeine Empfehlung geben. Für mich liegt die Lösung darin, mehrmals am Tag die Beiträge zu lesen. Falls Sie am Tage nicht dazu kommen, nutzen Sie bitte die Abendstunden (sofern sie flexibel nutzbar sind).

Interessant fand ich auch die Diskussion über die Kommunikation im MOOC im Vergleich zum direkten Gespräch. Während dieses spontane Reaktionen zulässt, wurde der Vorteil der Forumdiskusison in der „Entschleunigung“ gesehen, die eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Fragen zulässt. Dies habe ich auch so empfunden.

Wir haben heute das Round-Table Gespräch mit Rolf Arnold und John Erpenbeck als Schwerpunkt definiert, aber auch weiter über den gestrigen Beitrag von Andreas Eckelt zum Projekt Next Education diskutiert. Auf Basis der Leitfragen wurden vor allem folgende Aspekte, sortiert nach der Zahl der Beiträge, diskutiert. Angesichts der Vielzahl der Beiträge kann diese Auswahl der Schwerpunkte nur subjektiv sein.

  1. Trainer und Dozenten entwickeln sich zu Lernbegleitern – 102 Beiträge:

Der Ansatz der Lernbegleitung bedeutet, dass die Mitarbeiter entscheiden, was zu lernen ist. Deutlich wurde in der Diskussion, dass es primär um die Unterstützung der Prozesse zur „Wissensverarbeitung“ geht. Am Beispiel von Maria Montessoris Pädagogik der „Hilfe zur Selbsthilfe“ zeigte es sich in der Diskussion, dass der Ansatz der Lernbegleitung bereits eine lange Tradition hat, gleichzeitig aber auch wichtige Impulse für die aktuellen Lernsysteme geben kann. Hervorgehoben wurde von mehreren Teilnehmern, dass der Ansatz des Blended Learning eine gute Chance bietet, das Konzept der Lernbegleitung in der Praxis umzusetzen. Gefordert wurde der „Blended Trainer“, der sowohl die Trainerrolle als auch die Aufgabe des Lernbegleiters beherrscht.

Die Rolle des Lernbegleiters leitet sich aus einer Lernkonzeption ab, die durch Selbstorganisation geprägt ist. Deshalb werden die Trainer sich nicht einfach in diese Richtung verändern. Der Anpassungsprozess muss beim Planungshandeln der heutigen Trainer beginnen, die grundlegend veränderte Lernarrangements benötigen. Es wurde betont, dass Lernbegleiter vorab selbstorganisierte Lernsysteme als Lerner erfahren haben müssen, um diese Rolle sinnvoll begleiten zu können.

Entscheidend ist die Einbeziehung der bisherigen Trainer in den Veränderungsprozess.Aus dem Projekt Next Education wurde berichtet, dass in verschiedenen Workshops mit Mitarbeitern und Führungskräften eine kritische Bestandsaufnahme des bisherigen Handelns vorgenommen und anschließend ein Zielbild entwickelt wurde. Dabei ist das Bild des Lernbegleiters entstanden, welcher eben weniger vermittelnd sondern eher moderierend und unterstützend tätig ist. Dies schließt fachliche Inputs und Lehrgespräche nicht völlig aus, aber es setzt einen klaren Akzent auf mehr Teilnehmeraktivierung, Handlungsorientierung und Selbststeuerung im Lernprozess. Der Trainer / Lernbegleiter hat also verschiedene Rollen inne: Experte, Prozessbegleiter, Moderator, Unterstützer, etc…

  1. Klassische Weiterbildungsseminare können die Anforderungen an das betriebliche Lernen nicht mehr erfüllen – 45 Beiträge:

Diese These wurde kontrovers diskutiert. Sie wurde mit der Begründung zurück gewiesen, dass einer guten Bedarfsklärung und entsprechend inhaltlicher Abstimmung und guter Einbindung der Schnittstellen (also die Bereiche in denen Wissen und Kompetenz konkret praktisch wirken sollen) mit einem entsprechenden hohen Nutzen zu rechnen sei. Wenn Präsenztrainings didaktisch sinnvoll aufbereitet sind und Möglichkeiten zum selbstgesteuerten Lernen geben, verbunden mit einer Vielzahl handlungsorientierter Methoden und hilfreicher Materialien, dann können auch Seminare im „Klassenraum“ einen nachhaltigen Lerneffekt haben. In solchen selbstgesteuerten Lern-Settings als auch bei der Implementierung von elektronischen Selbst-Lernangeboten bedarf es für viele Lerner einer intensiven Unterstützung und Lernbegleitung.

Dem wurde entgegen gesetzt, dass das „klassische Seminar“, das häufig mit dem stark lehrerzentrierten (Frontal-) Unterricht gleichzusetzen ist, einen minimalen Lerneffekt aufweist. Die Erfahrung zeigt, dass die Verantwortungsübernahme im Lernprozess für viele Menschen am Anfang nicht einfach und vor allem ungewohnt ist – gerade wenn sie bisher nur den trainerzentrierten Unterricht kennen. Sobald aber erste positive Erfahrungen gemacht wurden, trägt der selbstgesteuerte Ansatz Früchte und bringt sehr gute Ergebnisse und eine hohe Zufriedenheit bei den Lernenden.

Wenn das Wissen verstärk online aufgebaut wird, dann verzahnt es sich per se mehr mit der Praxis, da das netzbasierte Lernen am Arbeitsplatz oder im Home-Office geschieht und das praktische Üben vermehrt in einem Seminarkontext stattfindet und gemeinsam reflektiert wird. Das interaktive und kommunikative Lernen im Netz potenziert die Austauschmöglichkeiten um ein Vielfaches, ist sehr lebendig und gleichzeitig höchst anspruchsvoll, weil Wissen nicht mehr einspurig (von vorn), sondern mehrgleisig und mehrdimensional auf uns einströmt und durch uns hindurch weitergeleitet wird.

  1. Wir benötigen einen Wandel von der „Belehrungsdidaktik“ zur „Ermöglichungsdidaktik“ – 43 Beiträge:

Einige Teilnehmer plädierten dafür, die „Belehrungsdidaktik“ zumindest für bestimmte Themen, z.B. im sicherheitsrelevanten Bereich, bei zu behalten. Andere sahen sie als Teilbereich der Ermöglichungsdidaktik. Betont wurde, dass eine wichtige Rolle dabei auch die Lernbiographie spielt, die bei allen Lernern durch die Belehrungsdidaktik geprägt ist. Deswegen fühlen sich viele Lerner in diesem Ansatz wohl.

Gefordert wurde eine gute Balance zwischen Belehrungsdidaktik und Ermöglichungsdidaktik. Deutlich wurde der Unterschied heraus gearbeitet: Die Belehrungsdidaktik geht davon aus, dass es konkrete Lerninhalte gibt, von denen der Trainer glaubt, dass man diese wissen muss, um eine bestimmte Aufgabe, den Beruf, das Leben etc. gut meistern zu können. Insofern wird ein ganz konkretes Lernziel vorgegeben, das nachher auch abgefragt werden kann.

Die Ermöglichungsdidaktik zielt dagegen darauf, Lerninhalte zur Verfügung zu stellen, die ein Lerner sich aneignen kann (aber nicht muss); auch der Umgang mit den Inhalten ist frei, d. h. sein Sinn und Zweck nicht vorab durch den Lehrenden vorgegeben, sondern wird ihm erst durch die Lerner gegeben.

Die Belehrungsdidaktik hat ein grundlegend anderes Bild vom Lerner als die Ermöglichungsdidaktik. In der Belehrungsdidaktik entscheidet ein Gremium (DIHK, Kultusministerium…), was der Lerner zu lernen hat, in der Ermöglichungsdidaktik liegt diese Entscheidung beim Lerner selbst. Dies schließt nicht aus, dass er diese Entscheidung im Rahmen einer Vereinbarung von Arbeitszielen mit seiner Führungskraft und evtl. mit Hilfe eines Lernbegleiters trifft.

Diese These ist aber auch im Rahmen der Kompetenzdiskussion zu sehen. Da Kompetenzen, wenn man sie als die Fähigkeit sieht, Problemstellungen im Privat- oder Berufsleben selbstorganisiert lösen zu können, nur handelnd und damit selbstorganisiert aufgebaut werden können, gibt es in kompetenzorientierten Lernarrangements keine Alternativezur Ermöglichungsdidaktik.

Die Ermöglichungsdidaktik setzt individuelle Lernziele voraus, die sich einer zentralen Steuerung entziehen. Deshalb wird die Belehrungsdidaktik, zumindest im öffentliche-rechtlichen Bereich, noch lange bestehen.

  1. Wo erwarten Sie die größten Widerstände gegen die weitgehende Abkehr vom Lehren? – 30 Beiträge:

Sowohl die heutigen Lehrenden („Bewährte Lehrsystem“) als auch die Lernenden („Konsumentenhaltung“) zeigen häufig Widerstand gegenüber innovativen Lernsystemen. Deshalb ist es erforderlich, Lernkonzeptionen zu entwickeln, die es den Mitarbeitern ermöglichen, bei ihrem spezifischen Bedarf, d.h. ihren aktuellen Herausforderungen in der Praxis, anzusetzen. Damit ist eine hohe intrinsische Motivation für die Lernprozesse gesichert.

Wichtig ist es, die Arbeitsumgebung der Mitarbeiter und die darin zu bewältigenden Herausforderungen zur Grundlage der Lernkonzeption zu machen. Große Widerstände zeigen sich bei Personalabteilungen, die oft nicht bereit sind, den dazu notwendigen Dialog mit den Teilnehmern und deren Vorgesetzten (teilweise auch Kollegen) zu suchen. Soll Lernen arbeitsnah erfolgen, werden Lernräume benötigt, in denen ausprobiert und reflektiert werden kann und es gilt, Kriterien für die Fortschrittskontrolle zu definieren, die sich am Arbeitsalltag orientieren.

Weiterhin ist entscheidend, mit ersten Pilotgruppen von Bildungsplanern oder Trainern zu beginnen, um die Kompetenzentwicklung ihres Planungs- und Interaktionshandeln für innovative Lernarrangements zu ermöglichen.

  1. Worauf kommt es aus Ihrer Sicht besonders an, damit selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen in der ganzen Organisation akzeptiert wird? – 27 Beiträge:

Mehrfach hervorgehoben wurde der Zeitaspekt, die Möglichkeit zur Muse. Dem wurde entgegen gehalten, dass Lernen ein erhöhtes Aktivierungsniveau, sogar Stress, benötigt.

Voraussetzung für selbstorganisiertes Lernen ist eine Unternehmenskultur, die selbstorganisiertes Handeln n zulässt. Benötigt wird ein betrieblicher Rahmen der „Fehlerkultur“ oder der „Lernkultur“. Es müsste im Endeffekt erreicht werden, dass die individuellen Lernziele der Mitarbeiter integraler Bestandteil der Zielvereinbarungen werden, die jeder Mitarbeiter mit seiner Führungskraft trifft. In diesen Vereinbarungen werden dann auch die notwendigen zeitlichen oder finanziellen Ressourcen vereinbart. Die heute übliche, künstliche Trennung von Arbeiten und Lernen würde damit aufgehoben.

Um alle Mitarbeiter in dem Veränderungsprozess mit zu nehmen, sollte in Präsenzseminaren gleich mit eingeplant werden, dass jeder Teilnehmer die Möglichkeit hat, seine persönliche Lern- und Kommunikationsbedürfnisse zu decken.

  1. Kompetenzentwicklung setzt kollaboratives Arbeiten und Lernen in Projekten und im Netz voraus – 25 Beiträge:

Kompetenzentwicklung wird als fortlaufender Prozess gesehen, der nicht an bestimmte Orte oder die Nutzung von webbasierten System gebunden ist. Das Netz bietet jedoch deutlich erweiterte Möglichkeiten der Kollaboration, losgelöst von Ort und Zeit.

Diskutiert wurde die Frage, wie man Kompetenzentwicklung gezielt ermöglichen kann. Dafür eignen sich Praxisprojekte, weil die Mitarbeiter in einem begrenzten Rahmen, nämlich dem Projekt, die Möglichkeit erhalten, ihre Kompetenzentwicklung selbst zu organisieren. Dabei werden sie in ein Lernarrangement eingebettet, in dem Sie einen Ermöglichungsrahmen mit Content, Kommunikationstools etc. nutzen können und durch Lernpartner (Co-Coaching) und Lernbegleiter bzw. Experten unterstützt werden.

Fazit

Insgesamt empfand ich die Diskussion als sehr praxisnah, aber auch aufgrund der Komplexität anstrengend, manchmal verwirrend und häufig auch tiefgründig. Auf jeden Fall habe ich viel gelernt, sowohl in unseren Diskussionsthemen, aber auch zum Lernformat MOOC. Ein sehr gewinnbringender Tag!

Ich freue mich auf Ihre weiteren Beiträge.