Der problematische Trend von Kompetenzen zu Persönlichkeitsmerkmalen

Letzthin stieß ich auf einen interessanten Artikel, den ich an dieser Stelle mit Blick auf Unternehmen kurz zusammenfassen möchte. Denn die moderne Arbeitswelt 4.0 steht vor einem interessanten Paradigmenwechsel: Statt klassischer Kompetenzen suchen Unternehmen verstärkt nach Mitarbeitenden mit spezifischen Persönlichkeitseigenschaften.

Manuel Pietzonka: Persönlichkeitseigenschaften als Lernziele und Future Skills? Der problematische Trend von Kompetenzen zu dispositionalen Eigenschaften, September 2024, IN: Kompetenzen für die Arbeitswelten der Zukunft (auch auf Researchgate)

Der neue Fokus auf Persönlichkeit

In den letzten zehn Jahren hat sich ein deutlicher Trend in Personalabteilungen entwickelt: Weg von reinen Fachkompetenzen, hin zu dispositionalen Eigenschaften – also tief verwurzelten Persönlichkeitsmerkmalen.

Besonders gefragt sind:

  • Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit
  • Technikbereitschaft
  • Resilienz
  • Ambiguitätstoleranz
  • Diversitätsakzeptanz

Die Herausforderung für HR

Diese Entwicklung stellt Personalabteilungen vor ein Dilemma: Diese Eigenschaften lassen sich nicht wie klassische Kompetenzen in Seminaren oder Trainings entwickeln. Dennoch boomt der Markt für sogenannte „Persönlichkeitstrainings“ und „Future Skills“-Entwicklungsprogramme.

Warum dies problematisch ist

Der aktuelle Trend birgt mehrere Risiken für Unternehmen:

Fehlende Evidenz: Die Wirksamkeit von Persönlichkeitstrainings wird kaum systematisch evaluiert.

Irreführende Bezeichnungen: Die Etikettierung als „Skills“ suggeriert fälschlicherweise eine Erlernbarkeit dieser Eigenschaften.

Ressourcenverschwendung: Investitionen in Programme zur Entwicklung dispositionaler Eigenschaften könnten weitgehend wirkungslos sein.

Empfehlungen für Unternehmen

  1. Realistische Erwartungen setzen: Persönlichkeitsmerkmale sind weitgehend stabil und durch kurzzeitige Maßnahmen kaum veränderbar.
  2. Fokus auf echte Kompetenzen: Konzentration auf tatsächlich entwickelbare Fähigkeiten und Fertigkeiten.
  3. Differenzierte Personalauswahl: Bei der Rekrutierung gezielt nach gewünschten dispositionalen Eigenschaften suchen, statt zu versuchen, diese später zu entwickeln.

Die Erkenntnis für moderne Personalarbeit lautet: Nicht jede wünschenswerte Eigenschaft lässt sich durch Training entwickeln. Manchmal ist es klüger, bei der Personalauswahl gezielt nach Menschen zu suchen, die bereits über die gewünschten Eigenschaften verfügen.

Die Überforderung der Hochschulen

Aber auch die Grenzen der Hochschulbildung bei dispositionalen Eigenschaften sind klar erkennbar: Hochschulen können zwar Wissen vermitteln und kognitive Fähigkeiten schulen, aber keine grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale verändern. 

Während sie durchaus Methoden und Instrumente lehren können, wie man beispielsweise kreativ arbeitet oder in Teams kommuniziert, können sie weder Kreativität als Persönlichkeitsmerkmal noch soziale Intelligenz als dispositionale Eigenschaft entwickeln.

Die Ausweisung solcher Merkmale als „Learning Outcomes“ in Modulbeschreibungen ist daher irreführend und stellt eine Selbstüberschätzung des hochschulischen Bildungsauftrags dar. 

Zudem wäre eine Prüfung dieser Eigenschaften ethisch fragwürdig, da sie den Charakter einer Gesinnungsprüfung hätte und möglicherweise zu Diskriminierung führen könnte. Hochschulen sind Bildungseinrichtungen – keine Charakterbildungsanstalten.

Die Lösung für Unternehmen liegt daher nicht in der Hoffnung auf hochschulische Entwicklung dieser Eigenschaften in Form von Weiterbildungskursen, sondern in einer gezielteren Personalauswahl, die die gewünschten dispositionalen Merkmale von Anfang an berücksichtigt.